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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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Zyklop, und trink! Auf Menschenfleisch schmeckt der Wein vortrefflich. Du sollst auch erfahren, was für ein köstliches Getränk wir auf unserem Schiffe führten. Ich brachte ihn mit, um ihn dir zu spenden, wenn du Erbarmen mit uns trügest und uns heim ließest. Aber du bist ja ein ganz entsetzlicher Wütrich; wie mag dich künftig ein anderer Mensch besuchen? Nein, du bist nicht billig mit uns verfahren!‹
    Der Zyklop nahm die Kanne, ohne ein Wort zu verlieren, und leerte sie mit durstigen Zügen; man sah ihm das Entzücken an, in welches ihn die Süßigkeit und Kraft des Trankes versetzte. Als er fertig war, sprach er zum ersten Male freundlich: ›Fremdling, gib mir noch eins zu trinken; und sage mir auch, wie du heißest, damit ich dich auf der Stelle mit einem Gastgeschenk erfreuen kann. Denn auch wir haben Wein hierzulande, wir Zyklopen. Damit du aber auch erfahrest, wen du vor dir hast, so wisse: Polyphemos ist mein Name.‹ So sprach der Zyklop, und gerne gab ich ihm von neuem zu trinken. Ja, dreimal schenkte ich ihm die Kanne voll, und dreimal leerte er sie in der Dummheit. Als ihm der Wein die Besinnung zu umnebeln anfing, sprach ich schlauerweise: ›Meinen Namen willst du wissen, Zyklop? Ich habe einen seltsamen Namen. Ich heiße der Niemand; alle Welt nennt mich Niemand, Mutter, Vater hießen mich so, und bei allen meinen Freunden bin ich so geheißen.‹ Darauf antwortete der Zyklop: ›Nun sollst du auch dein Gastgeschenk erhalten: den Niemand, den verzehre ich zuletzt nach allen seinen Schiffsgenossen. Bist du mit der Gabe zufrieden, Niemand?‹
    Diese letzten Worte lallte der Zyklop nur noch, lehnte sich rückwärts und taumelte bald ganz zu Boden.
    Mit gekrümmtem feistem Nacken dehnte er sich schnarchend im Rausch, ja Wein und Menschenfleisch brach er in der Trunkenheit aus seinem Schlunde heraus. Jetzt steckte ich schnell den Pfahl in die glimmende Asche, bis er Feuer fing, und als er schon Funken sprühte, zog ich ihn heraus, und mit den vier Freunden, die das Los getroffen hatte, stießen wir ihm die Spitze tief ins Auge hinab, und ich, in die Höhe gerichtet, drehte den Pfahl, wie ein Zimmermann einen Schiffsbalken durchbohrt. Wimpern und Augenbrauen vermengte die Glut bis auf die Wurzeln, daß es prasselte und sein erlöschendes Auge zischte wie heißes Eisen im Wasser. Grauenvoll heulte der Verletzte auf, so laut, daß die Höhle von dem Gebrüll widerhallte; und wir, vor Angst bebend, flüchteten in den äußersten Winkel der Grotte.
    Polyphem riß sich indessen den Pfahl aus der Augenhöhle, von dem das Blut triefend herunterrann; er 291
    Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
    schleuderte ihn weit von sich und tobte wie ein Unsinniger. Dann erhub er ein neues Zetergeschrei und rief seine Stammesbrüder, die Zyklopen, herbei, die im Gebirge umher wohnten. Diese kamen von allen Seiten heran, umstellten die Höhle und wollten wissen, was ihrem Bruder geschehen sei. Er aber brüllte aus der Höhle heraus: ›Niemand, Niemand bringt mich um, ihr Freunde! Niemand tut es mit Arglist!‹ Als die Zyklopen das hörten, sprachen sie: ›Nun, wenn niemand dir etwas zuleide tut, wenn dich keine Seele angreift, was schreiest du denn so? Du bist wohl krank; aber gegen Krankheit haben wir Zyklopen keine Mittel!‹ So schrien sie und eilten wieder davon. Mir aber lachte das Herz im Leibe.
    Der blinde Zyklop tappte indessen in seiner Höhle umher, immer noch vor Schmerzen winselnd. Er nahm den Felsstein vom Eingange, setzte sich dann unter die Pforte und tastete mit den Händen herum, um einen jeden von uns zu fangen, der Lust hätte, mit den Schafen zu entwischen; denn er hielt mich für so einfältig, daß ich es auf diese Weise angreifen würde. Ich aber kam inzwischen an tausenderlei Planen herum, bis ich den rechten ausfindig machte. Es standen nämlich gemästete Widder mit dem dichtesten Vliese um uns her, gar groß und stattlich. Die verband ich ganz geheim mit den Ruten des Weidengeflechtes, auf welchem der Zyklop schlief, je drei und drei; und der mittlere trug unter seinem Bauche immer einen von uns Männern, der sich an seiner Wolle festhielt, indessen die beiden andern Widder rechts und links, die heimliche Last beschirmend, einhertrollten. Ich selber wählte den stattlichsten Bock, der hoch über alle andern hervorragte. Ihn faßte ich am Rücken, wälzte mich unter seinen Bauch und hielt die Hände fest in den gekräuselten Wollenflocken gedreht. So unter den Widdern hängend,

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