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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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werde ich noch tiefer in Kummer und Gram versinken. Denn wo soll ich anfangen und womit enden? – Doch höret vor allen Dingen mein Geschlecht und mein Vaterland!«
    ODYSSEUS ERZÄHLT DEN PHÄAKEN SEINE IRRFAHRTEN
    (KIKONEN. LOTOPHAGEN. ZYKLOPEN. POLYPHEM)
    »Ich bin Odysseus, der Sohn des Laërtes; die Menschen kennen mich, und der Ruhm meiner Klugheit ist über die Erde verbreitet. Auf der sonnigen Insel Ithaka wohne ich, in deren Mitte sich das waldige Gebirge Neriton erhebt; ringsumher liegen viele kleinere bewohnte Eilande, Same, Dulichion, Zakynthos. Meine Heimat ist zwar rauh, doch nähret sie frische Männer, und das Vaterland ist einem jeden das Süßeste.
    Wohlan nun, vernehmet von meiner unglückseligen Heimfahrt aus dem trojanischen Lande! Von Ilion weg trug mich der Wind nach der Kikonenstadt Ismaros, die ich mit meinen Genossen eroberte. Die Männer vertilgten wir; die Frauen samt der andern Beute wurden verteilt. Nach meinem Rate hätten wir uns nun eilig davongemacht. Aber meine unbesonnenen Begleiter blieben schwelgend bei der Beute sitzen, und die entflohenen Kikonen, durch ihre landeinwärts wohnenden Brüder verstärkt, überfielen uns beim Schmaus am Gestade. Die Übermacht siegte. Sechs Freunde von jedem unsrer Schiffe blieben auf dem Platze, wir andern entgingen dem Tode nur durch schleunige Flucht.
    Also steuerten wir weiter westwärts, froh, der Todesgefahr entronnen zu sein, aber von Herzen traurig über den Tod unserer Genossen. Da sandte Zeus uns einen Orkan aus Norden. Meer und Erde hüllten sich in Wolken und Nacht; mit gesenkten Masten flogen wir dahin, und ehe wir die Segel eingezogen hatten, krachten die Stangen zusammen, und die Segeltücher zerrissen in Stücke. Endlich arbeiteten wir uns ans Gestade und lagen dort zwei Tage und Nächte vor Anker, bis wir die Masten wieder aufgerüstet und neue Segel aufgespannt hatten. Wir steuerten nun vorwärts und hatten alle Hoffnung, bald in die Heimat zu gelangen, wäre nicht, eben als wir ums Vorgebirge Malea, an der Südspitze der Pelopsinsel von Griechenland, herumschifften, der Wind plötzlich in Nord umgeschlagen und hätte uns seitwärts in die offene See hineingetrieben. Da wurden wir nun neun Tage vom Sturm herumgeschleudert; am zehnten gelangten wir ans Ufer der Lotophagen, die sich von nichts als Lotosfrucht nähren. Hier stiegen wir ans Gestade und nahmen frisches Wasser ein. Dann sandten wir zwei unserer Freunde auf Kundschaft aus, und ein Herold mußte sie begleiten. Diese gelangten in die Volksversammlung der Lotophagen und wurden von diesem gutmütigen Volke, dem es nicht in den Sinn kam, etwas zu unserem Verderben zu unternehmen, auf das freundlichste empfangen. Aber die Frucht des Lotos, welche sie ihnen zu kosten gaben, hat eine ganz eigentümliche Wirkung. Sie ist süßer als Honig, und wer von ihr kostet, der will nichts mehr von der Heimkehr wissen, sondern immer in dem Lande bleiben. So mußten wir denn auch unsre Genossen, während sie weinten und widerstrebten, mit Gewalt nach den Schiffen zurückführen.
    Auf unsrer weiteren Fahrt kamen wir nun zu dem wildlebenden grausamen Volke der Zyklopen. Diese bauen das Land gar nicht, sondern überlassen alles den Göttern. Auch wächst wirklich dort alle mögliche Nahrung ohne Zutat des Pflanzers und Ackermanns: Weizen, Gerste, die edelsten Reben voll großbeeriger Trauben; und Zeus gibt in mildem Regen seinen Segen dazu. Auch halten sie keine Gesetze, treten in keine Ratsversammlung zusammen, sondern alle wohnen auf den felsichten Gebirgshöhen, rings in gewölbten Erdhöhlen; da richtet sich der Zyklop, wie er mag, mit Weibern und Kindern ein; übrigens bekümmert sich keiner um den andern. Außerhalb der Bucht, in mäßiger Entfernung vom Zyklopenlande, erstreckt sich eine bewaldete Insel voll wilder Ziegen, die, von keinem Jäger geängstet, hier sorglos grasen. Kein Mensch wohnt darauf; die Zyklopen selbst, die den Schiffbau nicht verstehen, kommen auch nicht dahin. Bewohner könnten sich die Insel leicht zum blühendsten Lande umschaffen, denn der Boden ist höchst fruchtbar: feuchte, schwellende Wiesen breiten sich über den Strand aus, das unbenützte Ackerfeld ist locker, der Boden fett; die gelegensten Hügel böten sich dem Weinbau dar. Auch ist ein vor allen Winden geschirmter Hafen da, so sicher, daß man die Schiffe weder anzubinden noch vor Anker zu legen braucht. Der Bucht zugekehrt quillt das reinste Wasser perlend aus der Felsenkluft, und grünende Pappeln

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