Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
Vom Netzwerk:
ist es Zeit, daß wir den Achaiern den Abendschmaus geben, noch eh es Nacht wird, dann folge Lautenspiel und Gesang und was sonst noch das festliche Mahl erfreuen mag.«
    Mit diesem Worte gab Odysseus seinem Sohne den heimlichen Wink. Schnell warf sich dieser sein Schwert um, griff zum Speer und stellte sich gewappnet neben den Stuhl seines Vaters.
    DIE RACHE
    Da streifte sich Odysseus die Lumpen rückwärts von den Armen, und Bogen und Köcher voll Geschossen in der Hand, sprang er auf die hohe Schwelle; hier schüttete er sich die Pfeile vor seinen Füßen aus und rief in die Versammlung hinab: »Der erste Wettkampf wäre nun vollbracht, ihr Freier! Nun folgt der zweite; und jetzt wähle ich mir ein Ziel, wie es noch kein Schütze getroffen hat; und doch gedenke ich es nicht zu verfehlen.« So sprach er und zielte mit dem Bogen auf Antinoos. Dieser hob eben den gehenkelten goldenen Pokal und führte ihn ahnungslos zum Munde. Da fuhr ihm der Pfeil des Odysseus in die Gurgel, daß die Spitze aus dem Genick hervordrang. Der Becher entstürzte seiner Hand; dem Erschossenen fuhr ein dicker Blutstrahl aus der Nase, und während er zur Seite sank, stieß er den Tisch samt den Speisen mit dem Fuße um, daß diese auf den Boden rollten. Als die Freier den Fallenden gewahrten, sprangen sie tobend von ihren Thronsesseln auf; rings durchforschten sie die Wände des Saales nach Waffen: aber da war kein Speer und kein Schild zu sehen. Nun machten sie sich mit grimmigen Scheltworten Luft: »Was schießest du auf Männer, verfluchter Fremdling? Unsern edelsten Genossen hast du getötet. Aber es ist dein letzter Schuß gewesen, und bald werden dich die Geier fressen!« Sie meinten nämlich, er habe ihn, ohne es zu wollen, getroffen, und ahneten nicht, daß sie alle das gleiche Schicksal bedrohe. Odysseus aber rief mit donnernder Stimme zu ihnen herunter: »Ihr Hunde, ihr meinet, ich komme nimmermehr von Troja zurück; deswegen verschwelgtet ihr mein Gut, verführtet mein Gesinde, warbet bei meinem Leben um mein eigenes Weib, scheutet Götter und Menschen nicht! Jetzt aber ist die Stunde eueres Verderbens gekommen!«
    Wie sie solches hörten, wurden die Freier bleich, und Entsetzen ergriff sie. Jeder sah sich schweigend um, wie er entfliehen möchte; nur Eurymachos faßte sich und sprach: »Wenn du wirklich Odysseus der Ithaker bist, so hast du ein Recht, uns zu schelten, denn es ist viel Unziemliches im Palast und auf dem Lande geschehen. Aber der, der an allem schuldig war, liegt ja bereits von deinem Pfeil erschossen. Denn Antinoos ist's, der das alles angestiftet hat, und zwar warb er nicht einmal ernstlich um deine Gemahlin, sondern er selbst wollte König in Ithaka werden und gedachte deinen Sohn heimlich zu ermorden. Doch der hat ja nun sein Teil. Du aber schone deiner Stammesgenossen; laß dich versöhnen! Jeder von uns soll dir zwanzig Rinder zum Ersatz für das Verzehrte bringen, auch Erz und Gold, soviel dein Herz verlangt, bis wir dich wieder günstig gemacht haben!« »Nein, Eurymachos«, antwortete Odysseus finster, »und wenn ihr mir all euer Erbgut bötet und noch mehr, ich werde nicht ruhen, bis ihr mir alle mit dem Tod eure Missetaten gebüßt habt. Tut, was ihr wollt, kämpfet oder fliehet, keiner wird mir entrinnen!«
    Herz und Knie zitterten den Freiern. Noch einmal sprach Eurymachos, und zwar jetzt zu seinen Freunden: »Lieben Männer, dieses Mannes Hände wird niemand mehr aufhalten; ziehet die Schwerter, wehrt sein Geschoß mit den Tischen ab; alsdann werfen wir uns auf ihn selber, suchen ihn von der Schwelle zu verdrängen, dann zerstreuen wir uns durch die Stadt und rufen unsere Freunde auf« So sprach er, zog sein Schwert aus der Scheide und sprang mit gräßlichem Geschrei empor. Da durchbohrte ihm der Pfeil des Helden die Leber; das Schwert sank ihm aus der Hand, er wälzte sich mitsamt dem Tische zu Boden, warf Speisen und Becher zur Erde und schlug mit der Stirne auf den Estrich. Den Sessel stampfte er mit den Füßen hinweg; es waren die letzten Zuckungen, und er lag tot auf dem Boden. Nun stürmte Amphinomos gegen Odysseus hinan, um sich mit dem Schwerte Bahn durch den Eingang zu machen. Aber diesen erreichte Telemachs Speer im Rücken zwischen den Schultern, so daß er vorn aus der Brust hervordrang und der Getroffene auf das Angesicht zu Boden fiel. Telemach entzog sich nach dieser Tat dem Gewühle der Freier durch einen Sprung, und stellte sich zu seinem Vater auf die Schwelle, dem er einen

Weitere Kostenlose Bücher