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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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Lanzen, sondern ihr sechse da zuerst; und zielet mir fein alle nur auf Odysseus: liegt er nur einmal, so kümmern uns die andern wenig.« Aber Athene vereitelte ihnen den gewaltigen Wurf: des einen Lanze durchbohrte den Pfosten, des andern fuhr in die Tür; andern blieb sie in der Wand stecken. Jetzt rief Odysseus seinen Freunden zu: »Wohl gezielt und geschossen!« und alle vier schickten ihre Lanzen ab, und keiner fehlte: Odysseus traf den Demoptolemos, Telemach den Euryades, den Elatos der Sauhirt, der Rinderhirt den Peisander, welche miteinander in den Staub sanken. Einen Augenblick flüchteten sich die noch übrigen Freier in den äußersten Winkel des Saals: bald aber wagten sie sich wieder hervor und zogen die Speere aus den Leichnamen. Dann schossen sie neue Lanzen ab; die meisten fehlten wieder, nur der Speer des Amphimedon streifte dem Telemach die Knöchelhaut an der einen Hand, und des Ktesippos Lanze ritzte dem Sauhirt die Schulter über dem Schild. Beide wurden zum Lohne von den Verletzten durch Lanzenwürfe getötet, und der Sauhirt begleitete seinen Wurf mit den Worten: »Nimm dies, du Lästerer, für den Kuhfuß, mit dem du meinen Herrn beschenktest, als er noch im Saale bettelte!«
    Den Eurydamas hatte der Wurf des Odysseus niedergestreckt. Jetzt erstach er mit der Lanze Agelaos, den Sohn des Damastor; Telemach jagte dem Leiokritos, den Speer durch den Bauch; Athene schüttelte ihren verderblichen Ägisschild von der Decke herab und jagte den Freiern Entsetzen ein, daß sie wie Kinder, von der Bremse gestochen, oder wie kleine Vögel vor den Klauen des Habichts im Saale hin und her irrten.
    Odysseus und seine Freunde waren von der Schwelle herabgesprungen und durchwüteten mit Morden den 330
    Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
    Saal, daß überall Schädel krachten, Röcheln sich erhob und der Boden von Blute floß.
    Einer der Freier, Leiodes, warf sich dem Odysseus zu Füßen, umklammerte seine Knie und rief: »Erbarme dich! Nie habe ich Mutwillen in deinem Hause getrieben, habe die andern gezähmt, aber sie folgten mir nicht! Ich bin ihr Opferer und habe nichts getan, soll ich denn auch fallen?« »Wenn du ihr Opferer bist«, erwiderte Odysseus finster, »so hast du wenigstens für sie gebetet!« und nun raffte er das Schwert des Agelaos, das dieser im Tode sinken lassen, vom Boden auf und hieb dem Leiodes, während er noch flehte, das Haupt vom Nacken, daß es in den Staub rollte.
    Nahe an der Seitenpforte stand der Sänger Phemios, die Harfe in den Händen. Er überlegte in der Todesangst, ob er sich durch das Pförtchen in den Hof zu retten suchen oder die Knie des Odysseus umfassen sollte. Endlich entschloß er sich zum letztern, legte die Harfe zwischen dem Mischkrug und Sessel zu Boden und warf sich vor Odysseus nieder. »Erbarme dich meiner!« rief er, seine Knie umschlingend; »du selbst bereutest es, wenn du den Sänger erschlagen hättest, der Götter und Menschen mit seinem Lied erfreut. Ich bin der Lehrling eines Gottes, und wie einen Gott will ich dich im Gesange feiern! Dein Sohn kann es mir bezeugen, daß ich nicht freiwillig hierherkam, daß sie mich gezwungen haben, zu singen!«
    Odysseus hob das Schwert, doch zögerte er; da sprang Telemach herzu und rief. »Halt, Vater, verwunde mir diesen nicht, er ist unschuldig; auch den Herold Medon, wenn er nicht schon von den Hirten oder dir ermordet ist, laß uns verschonen; er hat mich schon als Kind im Hause so sorglich gepflegt und wollte uns immer wohl.« Medon, der, in eine frische Rinderhaut gehüllt, unter seinem Sessel verborgen lag, hörte die Fürbitte, wickelte sich los und lag bald dem Telemach flehend zu Füßen. Da mußte der finstere Held Odysseus lächeln und sprach: »Seid getrost, ihr beide, Sänger und Herold, Telemachs Bitte schützt euch.
    Gehet hinaus und verkündiget den Menschen, wieviel besser es sei, gerecht als treulos zu handeln.« Die zwei eilten aus dem Saale und setzten sich, noch immer vor Todesangst zitternd, im Vorhofe nieder.
    BESTRAFUNG DER MÄGDE
    Odysseus blickte umher und sah keinen lebenden Feind mehr. Sie lagen hingestreckt in Menge wie Fische, die der Fischer aus dem Netz geschüttet. Da ließ Odysseus durch seinen Sohn die Pflegerin berufen.
    Sie fand ihren Herrn unter den Leichen wie einen Löwen stehen, der Stiere zerrissen hat, dem der Rachen und die Brust von schwarzem Blute triefen und dessen Auge funkelt. So stand Odysseus, an Händen und Füßen mit Blut befleckt.

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