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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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Fußpfade nach. Bald hatten sie den Hügel erstiegen, der sich hoch über die Stadt erhob und auf die gegenüberstehende Burg hinuntersah. Mit Staunen betrachtete Äneas den stolzen Königsbau, der sich da erhob, wo früher nur armselige Bauernhütten gestanden hatten, die hohe steinerne Pforte der Stadt, die breiten gepflasterten Straßen, den Lärm und das Gewühl darin. Noch aber wurde an der Stadt gebaut, die Tyrier betrieben das Werk mit allem Eifer: die einen waren mit den Stadtmauern beschäftigt, die andern mit der Vollendung der Burg, zu deren Höhen sie Quadersteine emporwälzten; viele bezeichneten mit Furchen erst den Platz, auf welchem sich ihr Haus erheben sollte. Der größere Teil der Einwohnerschaft war auf dem Marktplatze versammelt, wählte den Senat und die Richter des Volks und beratschlagte über die Gesetze des neuen Staates. Noch andere gruben bereits an den Häfen, andere legten den Grund zu einem Theater und hieben dazu mächtige Säulen als Zierden der künftigen Bühne aus dem Felsen. Das Ganze war anzusehen wie ein Bienenschwarm, der eben schwärmt.
    In ihrem Nebelgewande geborgen, befanden sich Äneas und sein Begleiter bald in der Mitte des beschäftigten Volkes und gingen unerkannt hindurch. Mitten in der Stadt grünte ein schöner Hain, voll des kühlsten Schattens, wo nach langen Stürmen und Meerfahrten die Phönizier oder Pöner zuerst ein Segenszeichen, das ihnen Juno sandte, ausgegraben hatten: ein Pferdshaupt, wodurch ihnen Kriegsglück und Nahrung vorbedeutet ward. Hier baute die Königin Dido der Juno einen prächtigen Tempel; Stufen, Torpfosten und Türflügel, alles war von Erz. In diesem Haine faßte sich der Held Äneas erst wieder einen getrosten Mut und gab sich in seiner verzweifelten Lage kühneren Gedanken der Hoffnung hin. Denn während er sich in dem herrlichen Tempel umschaute und über die prächtigen Kunstwerke, die sich darin befanden, staunte, stieß er auf eine Reihe von Wandgemälden, in welchen die Schlachten Trojas dargestellt waren. Priamus, die Atriden, Achill, Rhesus und Diomed, fliehende Griechen und wieder Trojaner, der Knabe Troilus, von seinen Pferden geschleift, Trojanerinnen mit fliegendem Haar im Tempel der Pallas, Hektors geschleppte Leiche, Penthesilea mit ihren Amazonen: alles erkannte der Held Äneas, ja am Ende endeckte er auch sich selbst, wie er von der Mauer herab den ungeheuren Stein auf die Feinde schleudert.
    Während er dieses alles unter Schmerz und Lust mit Verwunderung sich beschaute, nahte die Königin Dido selbst, im höchsten Glanze jugendlicher Schönheit, von einem großen Gefolge tyrischer Jünglinge umgeben, dem Tempel. Unter der Wölbung des Portales setzte sie sich, von Bewaffneten umringt, auf einen hohen Thron und teilte dem Volke, das sich um sie versammelte, teils nach billiger Schätzung, teils durchs Los die Arbeiten in der neuen Stadt aus, sprach Recht, gab Gesetze. Da sahen Äneas und Achates plötzlich mitten in dem Gewühle ihre verloren geachteten Freunde und Genossen, den Sergestus, den Kloanthus und viele andere Teukrer, welche der Sturm von ihnen getrennt und an andere Küsten verschlagen hatte. Freude und Angst ergriff sie bei diesem Anblick; sie glühten vor Begierde, ihnen die Rechte zu traulichem Handschlage zu reichen, und doch machte sie das Unbegreifliche der Sache wieder irre: sie hielten deswegen in ihrem Nebelgewölke an sich und warteten zu, ob sie nicht im Verlauf der Dinge das Schicksal der Freunde aus ihrem eigenen Munde erfahren würden. Denn es waren, wie sie sahen, auserwählte Männer von jedem Schiffe. Auch drängten sie sich bald aus der Menge hervor, traten in die Vorhalle des Tempels ein, und als ihnen das Wort von der Königin vergönnt wurde, hob ihr Führer Ilioneus zu sprechen an: »Edle Königin, wir sind arme Trojaner, die der Sturm von Meer zu Meer geschleudert hat. Wir richteten den Lauf unserer Flotte nach dem fernen Italien, als ein unvermuteter Orkan uns unter die Klippen schleuderte, wo viele unserer Schiffe ohne Zweifel zugrunde gegangen sind. Die Überbleibsel der Flotte haben euer Gestade erreicht. Aber was sind das für Menschen, unter die wir geraten sind? welches Barbarenvolk duldet solche Gebräuche?
    Man verwehrt uns, den Strand zu betreten; man droht mit Kriege, mit Verbrennung unserer Schiffe. Wenn ihr von Menschlichkeit nichts wisset, so scheuet doch wenigstens die Götter! Äneas war unser Führer – es gibt keinen größeren und frömmern Helden! Wenn das

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