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Sagen des klassischen Altertums

Sagen des klassischen Altertums

Titel: Sagen des klassischen Altertums Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gustav Schwab
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»Jupiter«, sprach sie mit feierlicher Stimme, »Mächtiger Beschirmer des Gastrechtes, laß diesen Tag den Tyriern und unsern trojanischen Freunden günstig sein, und unsere späten Enkel mögen desselben noch mit Lust gedenken! Auch du, Freudengeber Bacchus, auch du, huldreiche Juno, sei mit uns!«
    So sprechend, goß sie das Trankopfer auf den Tisch aus, nippte dann von der goldenen Schale selbst und bot sie dem tyrischen Häuptlinge, der ihr zunächst saß. Nun machte der Pokal bei Tyriern und Trojanern die Runde, und derweil sang ein lockiger Sänger zur goldenen Zither sinnvolle Lieder vom Ursprunge der Welt, der Menschen und der Tiere. Als der Gesang zu Ende war, hing Dido an dem Munde des erzählenden Äneas, vernahm seine Schicksale mit pochendem Herzen und schlürfte in langen Zügen das Gift der süßen Liebe ein.
    DIDOS LIEBE BETÖRT DEN ÄNEAS
    Die Mienen, die Worte des Helden gruben sich der Königin tief ins Herz. Als die Gäste den Palast längst verlassen hatten und sie wenige schlaflose Stunden auf ihrem Lager zugebracht, suchte sie das Gemach ihrer geliebten Schwester und vertrautesten Freundin Anna auf und begann dieser ihr ganzes Herz aufzuschließen. »Schwester Anna«, sprach sie, »mich ängstigen wunderbare Träume. Welch ein seltener Gast hat unsere Wohnungen betreten! Welche Waffen, welcher Mut, welche Blicke! Man sieht ihm wohl an, daß er von den Göttern abstammt! Und welches Geschick hat er erfahren, welche Kriege durchgekämpft, welche Fahrten bestanden! Wahrhaftig, Schwester, wenn ich nicht unwiderruflich beschlossen hätte, mich 349
    Gustav Schwab – Sagen des klassischen Altertums
    durch das Band der Ehe keinem Mann mehr zu gesellen, seit der Tod mich um meine Erstlingsliebe betrogen hat: dieser einzigen Schwäche könnte ich vielleicht unterliegen. Aber eher soll mich die Erde verschlingen, eher der Blitz mich treffen, ehe ich meinem ermordeten Gemahl die Treue breche; er hat meine Liebe mit sich fortgenommen, er behalte sie auch im Grabe!« Tränen erstickten ihre Stimme, und sie vermochte nicht weiterzusprechen.
    Ihre Schwester blickt sie mitleidig an und erwiderte: »Dido, ich liebe dich mehr als mein Leben; willst du deine holde Jugend denn ganz im Witwengram verjammern? Meinst du, der Staub deines Gatten kümmre sich um deine Entsagung? Kommt es dir denn gar nicht in den Sinn, in welchem Gebiete du hausest, daß du auf der einen Seite von kriegerischen Gätulen, von unbändigen Numidierstämmen, von ungastlichen Sandbänken, auf der andern Seite von wasserlosen Wüsten eingeschlossen bist? Und welche Kriege drohen dir von Tyrus her, von deinem unversöhnlichen Bruder? Glaube mir, durch Gunst unserer Schutzgöttin Juno ist es geschehen, daß die trojanischen Schiffe hier gelandet sind. Schwester, wie mächtig würde unsere Stadt, wie mächtig das Reich durch eine solche Vermählung werden! Wie wird sich der Ruhm der Pöner steigern, von den Waffen der Trojaner begleitet! Sei klug, liebe Schwester, opfere den Göttern, stelle Gastgebote an, umstricke die Helden mit Zögerungen aller Art, solange ihre Flotte noch zerschellt ist und die Winde den Schiffen zuwider sind.« Anna entflammte mit diesen Worten Didos glühende Seele noch mehr und schläferte alle Scheu in ihrem Herzen ein. Sie gingen zusammen in die Tempel und opferten den Göttern.
    Dann führte Dido den geliebten Helden durch ihre Stadt, zeigte ihm den sidonischen Königsglanz und feierte ihrem Gaste zu Ehren ein neues Mahl; wieder herzte sie den Askanius, das Ebenbild seines Vaters, wieder konnte sie nicht satt werden, den Helden von Trojas Leiden erzählen zu hören.
    Dies alles war der Göttermutter Juno vom Olymp herab nicht entgangen. Der rechte Zeitpunkt, den Helden für immer um das verheißene Italien zu betrügen und das Volk der Trojaner in fremden Stämmen sich verlieren zu lassen, schien ihr gekommen. Sie suchte ihre Tochter Venus auf und begann heftig, doch freundlich zu ihr: »Wahrhaftig, du und dein Knabe, ihr habt einen schönen Sieg davongetragen! Doch wozu noch längeren Hader? Laß uns ein Ehebündnis und damit ewigen Frieden schließen! Du hast, was du mit ganzer Seele suchtest: Dido glüht von Liebe zu Äneas. Wohlan! laß uns die Völker verschmelzen, sie mag dem trojanischen Gatten dienen, und die Tyrier sollen seine Hochzeitsgabe sein.«
    Venus merkte die heimliche Absicht der Heuchlerin wohl; sie erwiderte aber ganz willfährig: »Wie könnte ich so töricht sein, dir dieses zu verweigern,

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