Sagen des klassischen Altertums
zeigte auf den Fetthaufen und fiel damit auf die List des Prometheus herein. Einen einmal gefaßten Entschluß kann Zeus nicht rückgängig machen. Er ist ein Gott. Götter irren sich nicht. Und wenn doch, dann dürfen sie es nicht zugeben.
Deshalb werden von diesem Tag an nur das Fett und die Innereien und die Knochen geopfert. Aber das gute, rote Muskelfleisch, das dem Menschen so schmeckt, hat er stets für sich behalten.
Nur, was sollte er mit diesem Fleisch anfangen? Sollte er roh hineinbeißen? Was sollte er mit dem Fleisch anfangen ohne Feuer? Prometheus half auch diesmal. Er stahl das Feuer aus der Werkstatt des Hephaistos. Er brachte es den Menschen.
Und als Zeus nachts von seinem Olymp herabblickte, sah er überall kleine, flackernde Lichter. Man kann sich vorstellen, wie das ist, wenn er auf unsere Großstädte herunterschaut. So viele Lichter! Wohin, würde er sich denken, wohin hat es die Kreatur des Prometheus gebracht! – Er verfluchte den Prometheus. Er beschloß, ihn zu bestrafen. Er befahl Hephaistos, den Prometheus mit Ketten an den Felsen des Kaukasus zu schmieden.
Diese Erlöserfigur war mit ausgebreiteten Armen an den Kaukasus genagelt, und ein Adler kam am Tag und hackte ihm die Leber aus dem Körper, und in der Nacht wuchs die Leber wieder nach. Und das Herauspicken verursachte nicht weniger Schmerzen als das schnelle Nachwachsen. Und das sollte auf ewig sein. Denn Prometheus war unsterblich.
Diese Grausamkeit war die Strafe dafür, daß Prometheus den Menschen geschaffen hat.
Etwas läßt uns staunen: Nirgendwo steht, daß die Menschen den Prometheus besonders liebten. Es gibt in fast allen Mythologien Parallelfiguren zu Prometheus. Die Finnen haben ihren Väinämöinen, der auch nicht geliebt wird, und dann ist da Luzifer, das heißt »Lichtträger«, auch er ist eine Parallelfigur zum Prometheus. Der Lichtträger ist der Engel, der das Feuer bringt, und just den hat das Christentum zum Teufel gemacht.
Warum lieben wir diese Figur nicht? Sie müßte uns doch näherstehen als alle anderen Figuren im Götterhimmel. – Ich weiß es nicht!
Am Ende wurde Prometheus doch noch befreit. Eine Version berichtet, Herakles sei sein Retter gewesen, eine andere erzählt, Zeus selbst habe ihn begnadigt. Jedenfalls, als sich Zeus an Thetis, die Wassernymphe, heranmachen wollte, warnte Prometheus vom Kaukasus herab den Göttervater: »Der Sohn, den diese Nymphe zur Welt bringen wird, wird mächtiger und stärker sein als sein Vater.«
Zeus ließ von Thetis ab. Als Dank für seine Warnung löste er Prometheus’ Fesseln und ließ ihn frei.
Von Prometheus soll der Spruch stammen: »Nimm keine Geschenke von den Göttern an.« – Er hatte einen Bruder, Epimetheus – Prometheus heißt der »Vorausdenkende«, Epimetheus heißt der »Hinterherdenkende« –, diesem Epimetheus schenkte Zeus eines Tages eine Frau, nämlich die Pandora. Hephaistos hatte sie nach dem Vorbild der Aphrodite geschaffen.
Prometheus sagte zu seinem Bruder: »Nimm sie nicht an. Von den Göttern nimmt man keine Geschenke.«
Aber Epimetheus nahm das Göttergeschenk, denn Pandora war so schön wie die Göttin der Liebe. Sie brachte eine Büchse mit. In dieser Büchse befanden sich alle Leiden, und sie drängten auf die Welt, um die Menschen zu quälen.
Prometheus sagte seinem Bruder: »Laß die Büchse der Pandora geschlossen. Öffne sie nicht!«
Aber Epimetheus folgte wieder nicht dem Ratschlag seines Bruders. Er öffnete die Büchse, und die Leiden flogen heraus. Schnell schloß Prometheus die Büchse wieder. Aber unten am Boden der Büchse war nur noch die Hoffnung, und die blieb eingesperrt.
Die Hoffnung wurde von nun an von Prometheus verwaltet. Er hütete sie, und nie gab er einer seiner Kreaturen die ganze Hoffnung zu spüren. Die Hoffnung ist ein starkes Medikament. In reiner, unverdünnter Form kann sie uns schaden. Deshalb achtete Prometheus darauf, daß die Hoffnung nicht ohne die Erinnerung eingenommen wurde.
So mußte sich Prometheus sehr anstrengen, um seine Kreaturen über die Tage und über die Stunden, über die Jahre und die Jahrhunderte zu retten. Und er bekam nicht einmal Dank dafür. Ich korrigiere mich: Weder auf einen Gott noch auf einen anderen Titanen ist ein so herrliches Gedicht geschrieben worden wie das zuvor Zitierte. Ein wenig von unserer Schuld gegenüber Prometheus hat Goethe damit wohl abgetragen.
Perseus
Von einem goldenen Regen – Von der Erfindung der
Steuer – Vom Umgang mit
Weitere Kostenlose Bücher