Sagen und Maerchen aus Sachsen und Thueringen (Erweiterte Ausgabe)
beiden. Sieh wie es lacht .« Damit hielt sie ihm das Kind hin, und es streckte die kleinen Arme freundlich nach ihm aus. Da weinte der Schäfer von Herzen und bat die Nixe den Knaben allein zu behalten. Er versprach sie täglich am See zu besuchen; doch mit hinab kommen könne er nicht, lieber wolle er selbst sterben. »Wenn du oben bleibst« sagte die Nixe, »so müssen wir uns auf ewig trennen, und ich darf von dem Kinde nicht mehr behalten als mir gehört .« Da küßte sie ihn noch zum Abschied, und sie theilte das Kind und hieß ihn wählen, welches Stück er wolle. Er nahm die untre Hälfte, und sie warf die obre in den See, wo alsbald ein munterer Fisch daraus wurde, der fröhlich fortruderte. Und als der Schäfer ihm noch nachsah, war die Nixe schon die Stufen hinab gestiegen, und das Wasser schlug über ihr zusammen. Da grub er die andre Hälfte des Kindes am Ufer ein, und an der Stelle wuchs eine Lilie, die neigte sich über das Wasser; und man sah oft wie der Fisch in der Dämmerung bei der Lilie auf und nieder schwamm.
4. Der dumme Wirrschopf.
Mündlich aus Gutenberg.
Ein Bauer hatte drei Söhne und eine Wiese. Von den Söhnen waren zwei klug und der dritte ein Dummling, und auf der Wiese wurde alljährlich das Heu gestohlen, wenn es gehauen und in Schober zusammengestellt war. Als nun die Schober auch wieder einmal aufgerichtet waren, sprach der Bauer zu den Söhnen »Wer mir das Heu bewacht, daß es nicht gestohlen wird, dem schenk ich einen Leinwandrock und ein Paar hölzerne Schuhe .« Sprach der älteste »Die will ich wohl verdienen« und ging am Abend auf die Wiese. Er wachte auch bis gegen Mitternacht; doch dann fielen ihm die Augen zu, und als er sie wieder aufmachte, war von den drei Schobern, die auf der Wiese gestanden hatten, einer weg. Da kam er traurig nach Hause, und am nächsten Abend wanderte der zweite Bruder auf die Wiese; aber es erging ihm nicht besser als dem ersten, und es wurde auch der zweite Heuschober gestohlen. Da sprach der Dummling »Es ist doch hübsch von meinen Brüdern daß sie mir auch einmal Etwas übrig lassen«, nahm eine Hechel und eine Leine und ging auf die Wiese. Und die Brüder lachten ihm nach und sprachen »Der dumme Wirrschopf will das thun, was wir nicht einmal gekonnt haben !« Der Wirrschopf aber hieß er, weil er sehr lange, verworrene Haare hatte, die wie eine goldne Mähne um seinen Kopf flogen. Er schlang auf der Wiese die Leine um den noch übrigen Heuschober, band das Ende derselben an die Hechel und legte die Hechel, indem er sich auf den Boden streckte, dicht hinter seinen Kopf. Nun schlief er getrost ein; doch es währte nicht lange, so kratzte ihn die Hechel, daß er aufwachte, und er sah ein graues Männchen, welches das Heu zusammen band und auf ein braunes Pferd lud. Da sprang er auf; doch ehe man drei zählen konnte, saß das Männchen schon auf dem Pferde und flog wie ein Pfeil über das Feld: er aber lief ihm nach und kam zu einem prächtigen Schloß im Walde, vor dem das graue Männchen grade vom Pferde stieg. Da faßte es der dumme Wirrschopf; doch das Männchen fiel auf die Knie und bat um Gnade und sprach »Wenn du mir das Leben läßt, schenk ich dir das schöne, braune Roß, auf dem ich geritten bin .« Das ließ sich der Bursch gefallen und sagte »Morgen früh will ich mirs abholen: jetzt muß ich wieder auf die Wiese, daß uns Niemand das Heu stiehlt .« Und als er zu dem Schober kam, brachte er die Leine und Hechel wieder in Ordnung und schlief ein. Doch die Hechel kratzte ihn bald wieder munter, und als er aufsah, war es dasselbe graue Männchen, welches das Heu zusammen raffte und auf ein weißes Pferd band. Da sprang er denn wieder auf und lief dem Männchen nach, traf es wieder bei dem Schloß im Walde, und es schenkte ihm auch noch das weiße Pferd und versprach nicht wieder zu kommen. Kaum aber war er zum dritten Mal auf der Wiese eingeschlafen, so fing die Hechel von Neuem zu kratzen an, und mit einem Satz sprang er auf das graue Männchen zu, packte es und drohte es auf der Stelle zu ermorden. Da war das arme graue Männchen denn in großer Angst, und es schenkte ihm nicht bloß das schwarze Pferd, auf dem es diesmal das Heu hatte wegführen wollen, sondern bot ihm noch dazu das ganze Schloß an mit allen Herrlichkeiten, die darin waren; und alles Heu, das es in den vielen Jahren gestohlen hatte, gelobte es wieder zu bringen. Der dumme Wirrschopf sagte, er wolle das Schloß erst ansehen, und das
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