Sagen und Maerchen aus Sachsen und Thueringen (Erweiterte Ausgabe)
nicht glauben; doch da die Mutter auch alle seine Räthe bestochen hatte, und sie alle sagten, die Frau müsse sterben, weil sie ihr Kind umgebracht habe, so mußte er zuletzt nachgeben, und die Mutter befahl ihre Schwiegertochter in Öl zu sieden. Da wurde bald ein mächtiger Kessel mit Öl gefüllt, dürres Holz darunter gelegt und die Frau hineingesetzt und festgebunden. Sie nähte aber immerfort noch an dem Hemde, an dem sie alle Tage des Jahres gearbeitet hatte. Man holte schon das Feuer um das Holz unter dem Kessel anzuzünden: da standen plötzlich zwei Männer auf der Schwelle, und die Frau schrie hell auf vor Freude; denn es waren ihre Brüder, das Jahr war um, und sie waren erlöst. Nun erzählte sie Alles, wie es gekommen war, weshalb sie das Jahr über geschwiegen habe, und wie die böse Schwiegermutter ihr das Kind hatte nehmen lassen. Das Kind aber hatten die Brüder, als sie noch Raben waren, mit dem Kästchen auf ihren Flügeln aus dem Meere getragen, und sie brachten es ihr wieder. Da weinte der Edelmann und bat sie vielmal um Vergebung, daß er seiner Mutter geglaubt und sie für eine Mörderin gehalten hatte. Und sie vergab es ihm wohl, doch seine Frau wollte sie nicht länger sein, sondern zog mit ihren Brüdern und dem Töchterlein heim zu ihrer Mutter.
Gebräuche.
Lichtmesse.
Wer von den Knechten oder Mägden eines Hauses an Mariä Lichtmesse zuerst aufsteht eilt die andern mit einer Ruthe aus dem Bett zu peitschen und hat dafür ein kleines Geschenk von ihnen zu fordern. Man nennt dies »Lerchen wecken .«
Fastnacht.
Am Fastnachtstage spinnt man an vielen Orten nicht, weil man sagt daß dann Frau Holle, Frau Harre oder Frau Motte kommt und den Rocken besudelt, auch weil man Kröten und andres Ungeziefer ins Haus oder Kröpel (verkrüppeltes Vieh) in die Ställe zu spinnen fürchtet.
Aschermittwoch.
Am Aschermittwoch weckt wie zu Lichtmesse der zuerst Erwachende die Übrigen, und dies heißt »aschabkehren« oder »äschern .« In Dörfern zwischen Halberstadt und Braunschweig ziehen die Burschen mit Tannenreisern von Haus zu Haus, suchen die Bewohner zu peitschen und empfangen vor jedem Hause eine Gabe. Die Gaben, welche nur in Eßwaaren bestehen, werden in einen Korb gesammelt und am Abend in der Schenke verzehrt.
Ostern.
In vielen sächsischen Dörfern gehen die Einwohner noch am Ostermorgen auf eine Anhöhe vor dem Dorfe, den Sonnenaufgang zu erwarten. Sie sehen dann wie die Sonne, wenn sie aufgeht, drei Freudensprünge thut.
Vor Sonnenaufgang, und bisweilen schon in der Nacht zwischen elf und zwölf, holt man das Osterwasser. Es muß aus fließendem Gewässer stromab geschöpft werden, und man darf, während man es schöpft, nicht sprechen: sonst verliert es seine Kraft. Man sprengt es im ganzen Hause umher, und es schützt vor Ungeziefer. In einzelnen Dörfern, wie in Schlettau und Passendorf bei Halle, trinkt man auch davon und wäscht sich damit, und man ist dann für das ganze Jahr sicher vor Krankheiten: auch das Vieh, das man damit wäscht und tränkt, bleibt gesund.
Walpurgis.
In der Walpurgisnacht steckt man Hollunderzweige an den Rand der Flachsfelder und springt darüber; und so hoch man springt, so hoch wächst in dem Jahre der Flachs.
Wer einen körperlichen Schaden hat muß in der Walpurgisnacht vor elf Uhr auf den Kreuzweg gehen, drei Kreuze über den Schaden machen und dazu sprechen »Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes .« Dann bleibt der Schaden auf dem Kreuzwege zurück, und wenn die Hexen auf den Brocken ziehen, müssen sie ihn mitnehmen, und er haftet ihnen hinfort an.
Am Abend vor Walpurgis macht man an alle Haus-und Stallthüren drei Kreuze: dann können die Hexen, wenn sie vorüberziehen, weder den Menschen noch dem Vieh Etwas anhaben.
Himmelfahrt.
In den Dörfern Gödewitz, Fienstedt, Gorsleben, Zörnitz und Krimpe feiert man zu Himmelfahrt ein Fest, bei welchem man eine Tonne Bier trinkt und darauf in einer für das Fest erbauten Scheune, der Himmelfahrtscheune, die neben der Kirche steht, tanzt. Früher, noch nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts, versammelte man sich vor dem Tanze am Gemeindebrunnen und trank da sieben Rinkeimer Bier, und zugleich wurde in Fienstedt und wahrscheinlich auch in den übrigen Dörfern öffentlich verlesen woher das Fest stamme. Eine Königin Namens Elisabeth, hieß es, kam vor mehr als sechshundert Jahren am Himmelfahrtstage
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