Sagen und Maerchen aus Sachsen und Thueringen (Erweiterte Ausgabe)
das graue Männchen stand am andern Ufer und konnte nicht herüber. »Nun bist du gerettet« sprach das Pferd: »darum wollen wir ausruhen. Komm, hier in der Nähe ist ein alter Kalkofen; der soll unsre Herberge sein .«
Als sie einige Tage hier gewohnt hatten, sagte das Pferd »Du hast dich wohl schon von der Reise erholt; darum geh und versuche dein Glück. Nicht weit von hier wohnt ein mächtiger König, der eine einzige Tochter hat und keinen Bräutigam für sie finden kann, weil sie nur einen Mann mit goldnen Haaren heiraten will. Bei dem Könige vermiethe dich als Gärtnerbursche; doch binde ein Tuch um den Kopf, daß man deine goldnen Haare nicht bald sieht: und wenn du in Noth bist, komm zu mir, so will ich dir rathen .« Der Knabe ging auf das Schloß, und der König nahm den hübschen Burschen gern zum Gärtner an. Und als nun die Blumen am Schönsten blühten, kam die Prinzessin in den Garten, besah alle Rosen und Nelken und die kleinen Aurikel, und sie fragte ihn auch warum er denn ein Tuch um den Kopf trage. Er aber wollte es nicht sagen: doch am andern Morgen pflückte er einen Blumenstrauß, umwand ihn mit einigen von seinen goldnen Haaren und warf ihn der Prinzessin durchs Fenster. Und kaum hatte sie den Strauß gesehen, so kam sie aus dem Schlosse gesprungen, riß dem Knaben das Tuch vom Kopf und rief »Du bist mein Bräutigam! du bist mein Bräutigam !« und sie küßte ihn tausendmal. Da hörte auch der König bald daß der Gärtnerbursche goldne Haare hatte und daß die Prinzessin ihn heiraten wollte; und er wurde sehr zornig darüber und warf ihn in einen finstern Thurm.
Nun dauerte es nicht lange, so brach Krieg aus. Und als des Königs Leute sich rüsteten, vergaßen sie ganz auf den jungen Grafen im Thurm, und er entsprang heimlich. Er ging zu dem Pferde in den Kalkofen, und es freute sich sehr ihn wieder zu sehen und führte ihn durch einen langen Gang in einen Saal, in dem viele Harnische und Schwerter hingen, und sprach »Hier suche dir eine Rüstung aus .« Und als er die Rüstung angelegt hatte, führte es ihn in einen andern Saal; in dem standen wohl hundert Pferde, und es gab ihm das schönste davon und sagte »Nun bist du ein Reitersmann; darum zieh in die Schlacht und habe guten Muth: du kannst noch ein großer König werden .« Als der Graf in die Schlacht kam, war der Vater der Prinzessin schon von den Feinden gefangen; doch er befreite ihn und gewann die ganze große Schlacht. Da freute sich der König, doch er erkannte den Grafen, der weit größer und stärker geworden war, nicht; und weil er sah daß der Graf eine Wunde am Arm hatte, verband er sie mit einem Tuche. Nun ritt der Graf eilig auf das Schloß des Königs und erzählte der Prinzessin, seiner lieben Braut, daß er die große Schlacht gewonnen und ihren Vater befreit habe. »So wollen wir dem Vater schnell entgegen gehen« sagte sie: und sie faßten sich bei den Händen und gingen auf den Weg, auf welchem der König mit seinen Kriegsleuten heimkehrte. Als der König den fremden, tapfern Ritter an dem Tuche erkannte und sah daß seine Tochter so freundlich mit ihm that, fragte er lachend ob er zum Lohn für seine Tapferkeit die Prinzessin zur Frau haben wolle. Da lachte der Graf auch und sprach »Wenn ich nicht der arme Gärtnerbursche wäre, den ihr in den Thurm werfen ließet, möchte ich sie wohl .« Er band den Helm ab, und die langen, goldnen Haare fielen ihm bis auf die Schultern herab und glänzten wie die lichte Sonne. Da standen Alle verwundert, und der König willigte mit Freuden ein daß die Prinzessin mit dem Grafen Hochzeit hielt und gab ihnen das halbe Königreich.
Als nun der Graf drei Jahre mit seiner Gemahlin gar fröhlich gelebt hatte, dachte er an das treue Pferd, dem er all sein Glück verdankte. Er ging in den Kalkofen, und das Pferd kam ihm traurig entgegen und sprach »Ach wie lange bist du geblieben: ich glaubte, du hättest mich in deiner Freude ganz vergessen, und der einzige Wunsch, den ich noch habe, würde mir nicht erfüllt werden. Ich kann dir jetzt nichts mehr helfen; darum komm und schlage mir mit deinem Schwerte den Kopf ab .« Das wollte der Graf lange nicht thun; da aber das Pferd so wehmüthig bat, that er es endlich. Doch das war ein Erstaunen. Wie der Kopf abflog, stand das schönste Mädchen vor ihm, das er je gesehen hatte; und sie sah ihn so recht freundlich und doch traurig an und sagte »Es war bös von dir daß du dem grauen Männchen im verfallnen Schlosse nicht
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