Saiäns-Fiktschen
Gewißheit, einfiel — da: im Glück des gelösten Philosophems und zugleich in der jäh wachsenden Qual der Betrübnis, daß Janno nie mehr dessen Lösung erfahre (denn es war davon auszugehen, daß die Heilbehandlung mit einem Löschen aller Erinnerung zumindest des letzten Jahres begönne) — da also, im Wechsel von Triumph und Trauer, die einander bis zur Erschöpfung durchdrangen, erkannte Jirro das ärgste Problem dieses schwierigen Tages: seinen Haufen von zehn Schrauben aus dem Philosophieinstitut hinauszubringen, vorbei an den Magnetbügeln der Kontrolltrupps, die geringste Mengen Metall wahrnehmen.
Diese Erkenntnis war in der Unabweisbarkeit ihres Entscheidungszwangs derart vernichtend, daß sie, eine andere Art Befriedungsmusik, Jirros Entschlußkraft vollständig lähmte und ihn, indes sich im Lösen des Händedrucks die Kameraden Kontrolltruppler schon formierten und deren einige, Jirro im Auge, einsatzfordernd zu ihrem Anführer blinzelten (der jedoch scharf kalkulierte, ob es klug sei, sich jetzt mit dem Physiktrust anzulegen) — daß diese Erkenntnis also den von ihr geschlagenen Wissenschaftler unfähig selbst noch zu der simplen, wiewohl dringend gebotenen Erkundigung machte, ob er, der Diplomneutrinologe 476, sich zu seiner Arbeit entfernen dürfe (ganz zu schweigen von einer Entscheidung darüber, an wen er diese Frage zu richten hätte).
In diesem Moment alles Unentschiednen (denn auch der Chefphilosoph überdachte, Schuldzuschiebungen zu dem Eindringling erwägend, die Folgen einer Belastung seines Verhältnisses zum Physiktrust, dem er vielleicht morgen schon präsidieren mußte), in diesem problemdunklen Augenblick also, da alles Denken an Wegverzweigungen stockte, auch Miene und Haltung aller Anwesenden zu unergründbarer Gelassenheit zwingend —: in diesem Moment reiner Innenwendung drängte mit den Rhythmen der Befriedungsmusik Jannos Denken zielstrebig nach außen: Er blickte mit gänzlich offnem Gesicht auf den Kontrolltruppanführer und sagte in der Unschuld seiner sichren Gewißheit: „Der ist aber auf dem Photo nicht drauf!“ —
und er versuchte, indes draußen die fröhlichen Philosophen im Refrain ihres Zunftgesangs die Erprobung aller Theorie in der Praxis priesen, einen Arm aus der Umarmung zu lösen, um den, der auf dem Bild noch fehlte, in die Gruppe zurückzuholen.
Allein der mißverstand Wort und Bewegung: Sein Lächeln barst, sein Wohlwollen platzte, eine Zornader drängte aus seinem Stirnfett, ein Brüllen brach aus, daß nun aber Schluß sei; und: „Schluß! Schluß!“ kreischte auch der Chefphilosoph, nach dem wahrhaft Schuldigen an diesem Skandal, dem Kausalitätler-Vordenker suchend; Schluß! dachten die Kontrolltruppler; Schluß! dachte auch Jirro, und da, mit einem Ruck, riß Janno sich los und trat zu dem Mann hin, zu dem hin er dachte, und der, da Janno sich ihm nahte, erstarrte: Sein Gesicht wurde Kalk, sein Schrei Grimasse, sein Blick nackte, hautlose Angst; er riß beide Hände den Augen entgegen, die, unverhüllter Spiegel der Seele, sich jäh zum Tod hin schon weiteten, den er als Fleisch geheimster Ängste in dem Attentäter auf sich zukommen sah, und der Chefphilosoph sah dieses Erschrecken und erkannte in ihm die Angst seines Feindes, und da er nun dessen Schwachheit wußte, blitzte der Sieg durch seine Augen, und Aufblitzen auch der Kontrolltrupplerfäuste, geballt um den Stahl der Beta-Brownings, die aus den Achseltaschen flogen, und Jirro sah sie als Glanz der Gewißheit, daß jetzt niemand auf die Magnetbügel achten und sein Sichentfernen verhindern werde, und in diesem Moment reiner Offenbarung erschien auch in Jannos Auge ein Leuchten, das Seligkeit der Erkenntnis war.
Wir können nicht wissen, was sich ihm da zeigte, wahrscheinlich, daß er das Gruppenbild schaute, Haufen all der lieben Kameraden, vielleicht auch die Lösung des SORITES, vielleicht nur die Sonne in ihrer Freiheit, vielleicht den Schmutz auf den Splittern der Scheibe, von den Farben des Regenbogens umrandet, aber das wissen wir nicht mehr.
DAS DENKMAL
Wäre — was aber nie geschah — der Diplomneutrinologe Jirro gefragt worden, was er, der als einer der wenigen Erwählten im Rahmen eines Austauschprogramms siebzig Wochen in Libroterr arbeiten durfte, dort, in der anderen Hälfte der Welt, als wesentlichste Einsicht gewonnen, hätte er durchaus antworten können: Die beßre Erkenntnis der eigenen. — Wahrscheinlich hätte er etwas ganz Anderes gesagt, doch wir kennen
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