Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fühmann
Vom Netzwerk:
die „Puddings“ genannten Unterteilchen der „Quarks“ erkannt haben wird) mußte es menschlicher Schöpferkraft möglich sein, das Durcheinanderwimmeln niederster Körper in die berechenbare Ordnung mechanischer Verhältnisse überzuführen.
    Wer macht denn Gesetze: der Mensch oder der Pudding? wiederholte er bei der nächsten Vorlesung und bewarf den Professor mit Puddingpulver, worauf ihn die Kommilitonenschaft jubelnd zum „Dr. phil. pudd.“ promovierte. — Der Rektor wagte, sich zu beschweren; M. C. I. wiegte bedächtig den Kopf: Die Mechanik auch im Mikrobereich, das bot völlig neue Möglichkeiten: Elektronenmikroskope in jedem Heim, und in ihrem Sichtfeld Flipperspiele: Neutronenwettrennen, Elektronengefechte, Mesonenbillard, Protonenpoker, und dies im Kristallgitter von Atomen — ein ungeahnter Markt tat sich auf! Er nahm seinen Sohn von der Universität und hieß ihn seine Theorie entwickeln; M. C. II. tat es und nannte sie „Mikromechanik“. Sie schlug in ihrer Einfachheit — und alle genialen Ideen sind einfach — jeden Widerlegungsversuch: Im Mikrobereich sei die Mechanik, wenn auch, zugegeben, nicht als Potenz, so doch gewiß als Latenz vorhanden, als Anlage ihrer Möglichkeit — wie könnte sie sonst im Makrobereich wirken, was sie unleugbar dort doch tat? Also komme es nur darauf an, die Latenz zur Potenz zu verdichten, was durch einen noch nie dagewesenen Druck als Ordnungskraft machbar sein müsse; diesen Druck könne ein Kessel erzeugen, dessen Wände hinlänglich kompakt sein müßten; dieser Kompaktheitsgrad sei berechenbar; Berechenbares sei konstruierbar; Konstruierbares sei realisierbar; ergo sei die Mikromechanik bewiesen.
    Dies war in seiner Einfachheit genial, und M. C. I. rieb sich die Hände; doch nun, aus nie geklärten Gründen, geschah etwas Verhängnisvolles: M. C. II. wurde Moralist. Wie er die Atomphysik der Mikromechanik unterwarf, unterwarf er die Mikromechanik der Ethik und verdarb sie so für das Marketing. — Jirro versuchte sich diese Entwicklung aus der Empörung ob des Verschwindens der geliebten Mechanik zu erklären; Psychologen sprachen von einer Verspätung und daher dann besonders rigorosen Verdrängung der anal-sadistischen Entwicklungsphase; ihre Erklärung kam der Jirros nahe und stützte sich vor allem darauf, daß die Wörter „rein“, „Schlacken“ und „läutern“ in der Mikromechanik — oder genauer: in deren ethischer Programmierung — bevorzugt auftraten. — Andere erklärten es wieder anders; befriedigend war dies alles nicht, vor allem nicht für den Flipperkönig, der die verheißungsvolle Theorie seines Sohnes sich ins Abstruse verlieren sah. Oder soll man es etwa nicht abstrus nennen, wenn — was ja in Libroterr jedem möglich — M. C. II. Traktate herausgab: Er habe seine Mikromechanik der Welt geschenkt, um „die Stoffe der rohen Natur zu dem zu formen, was sie sein könnten“, sie „auf ihr reines Sein auszurichten“, ihnen „die Möglichkeit ihrer selbst zu verleihen“, die „Natur auf eine höhere Stufe zu heben“ und was derlei Schwärmereien eines Moralisten, oder sagen wir dreist: eines Manikers mehr sein mochten. — Sein Vater dingte die besten Psychiater; die befragten in uralter Tradition den Patienten nach seinen Träumen und erhielten die Antwort, er träume nichts. Das war noch nicht einmal eine Notlüge: Seine Imaginationskraft ging ganz in Tagträumen auf, exzeßhaften Gedankenspielen von einer Umgestaltung der Erde durch mikromechanisch geordnete Stoffe, die er einen nach dem andern seriell fabrizieren würde: geordnetes Helium; geordneter Wasserstoff; geordnetes Lithium, und so weiter bis zum geordneten Bikinicum (Ordnungszahl 169).
    Es war eine Neuschaffung der Erde als Erhebung zu ihrem wahren Sein, die M. C. II. denkend träumte und träumend dachte, und da er sie aus der rauchigen Stadt zu den Firnen der Berge träumte, brach er aus dem Gehäuse methodologischen Schemas und träumte in sinnlicher Konkretheit: Wasser aus dem Gletscherquell — er war besessen, daß dies sein Initialstoff sein müßte. — Eine Taufe des Geists und der Phantasie, und plötzlich, eine Morgenvision, sah er das mikromechanisch geordnete Wasser in seinem konkreten Anderssein: Wasser in vollkommener Reinheit. Ein Wasser, das es bis jetzt noch nicht gegeben; er sah es verzückt. — Bis dahin mußte ihm das noch unreine genügen, und wie in der Kindheit die Kugelgestalt, begann er nun Wasser zu entdecken; er wanderte die

Weitere Kostenlose Bücher