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Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fühmann
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Gebirgsbäche aufwärts, lief nackt durch die Regen, sammelte Schneeflocken und Wolken, und das Wasser dankte es ihm: Einmal, über einem Eichenblatt, zeigte ihm ein Tropfen Tau im vergrößerten Adergeflecht die Grundkonstruktion des Umwandlungstriebwerks seiner zukünftigen Fabrik; ein anderes Mal, in einer Pfütze, die ihn die Welt auf dem Kopf stehend sehen ließ, entdeckte er die beiden hängenden Essen, jenes geniale Prinzip zusätzlicher Schwerkraft-, also Energiegewinnung, das dann die gesamte Industrie übernahm. — Er begann auch Schriften über das Wasser zu lesen, dabei stieß er notwendig einmal auf Thales, und in der Lehre vom Wasser als Ursprung allen Seins gewann er die philosophische Stütze, die ihn befähigte, standhaft zu bleiben und den Heeren der Psychiater zu trotzen, die M. C. I. unermüdlich ins Feld warf. Einige überzeugte er auch; sie erfanden die Psychohomöopathie.
    So allen Widrigkeiten trotzend, hatte M. C. II. seine Fabrik im Kopf und, tief in einem Safe aus Platin (einem Geschenk des Managements zu seinem zwölften Geburtstag), schließlich auch auf dem Papier, als
    (er explodierte bei dem Versuch, ein Elektronenbillard dennoch zu produzieren; man glaubte allgemein an einen Racheakt seines Sohnes, wiewohl es ein Trick der Schmutzkonkurrenz war)
    sein Vater gerade so rechtzeitig starb, daß er nicht mehr dazu kam, den Moralisten zu entmündigen, der nun, Alleinerbe unvorstellbaren Vermögens, in der Blüte der Mannesjahre seinen Lebenstraum verwirklichen konnte. Daß es ein Wahnsinnsprojekt war, tat nichts zur Sache, baupolizeilich war nichts zu beanstanden; der Baugrund, das Gebirge, gehörte zum Erbe, und andere Beschränkungen kennt Libroterr ja nicht. — Die Baufirmen rissen sich um den Auftrag; man nutzte ihn zur risikolosen Erprobung neuentwickelter Techniken; mit dem Wachsen des Werks wucherten die Gerüchte, und da der Bauherr beharrlich schwieg, hatte die Presse ihre Sensation:
„Verwandelt die Bergfabrik Wasser in Erdöl?“
fragte Libroterrs größte Zeitung,
„Spielhölle unterm Gletschereis??“
das Konkurrenzblatt.
    Jirro war bei der Grundsteinlegung dabei, und er wird nie vergessen können, daß der Grundstein ein „Pudding“ war und daß ein reiner Gedankenakt die Acht-Wasserstoffbomben-Zündung auslöste, die diesen „Pudding“ solcherart in das Urgestein stieß, daß keiner der Anwesenden etwas merkte.
    Selbst für Libroterr war das Projekt grandios: Allein der Überdruckkessel (der nötig war, die Latenz der Mikromechanik, falls es sie gäbe, zur Potenz zu verdichten) maß, um einer Kraft standzuhalten, die genügt hätte, einen Berg umzuwälzen, im Durchmesser zwei Kilometer, und dies bei einem Fassungsvermögen von noch nicht einem halben Liter. — Die Essen hingen zweihundertzwanzig Meter tief in eine Grube zehnfachen Umfangs; das Zahnrad im Herzen des Umwandlungsgetriebes, einer purgoldenen Möbiusschleife, durch die der Rohstoff zum Kessel hinab- und, mikromechanisch geordnet, vom Kessel heraufstieg, war ein kindskopfgroßer Brillant. Das Aufwendigste der Anlage stellte jedoch ihr Apparat zur Säuberung des Rohmaterials dar: ein in die Schräge der Felsen und Gletscher gestaffeltes System von Rastern und Sieben biologischer, chemischer und physikalischer Sperrung, darunter — will sagen: im Zentrum des Kessels — ein Sieb aus Anti-Materie, selbstverständlich in der Substanz von Anti-Wasser, das, wiewohl es das Wasser nicht berühren durfte, als Katalysator des Umschlagens der La- zur Potenz dem Schöpfer als unerläßlich galt.
    Ein Wunderwerk menschlicher Willenskraft; man baute ja auch sechzig Wochen daran, länger als an einer künstlichen Sonne, und jeder Tag dieser sechzig Wochen bot so viele Feste für das Auge, daß, da der Bauplatz nicht abgeschirmt wurde, Jirro ernsthafte Konflikte zwischen seinem Austauschauftrag (dem Nachweis praktischer Nichtnachweisbarkeit eines bestimmten, theoretisch inexistenten Neutrinos) und dem Drang kam, täglich zum Staunen zu gehn. Wo gab es in Uniterr Felsabschmirgler in der Handlichkeit einer Taschenlampe? Wo Mondreflektoren? Wo Transportsicherungen durch klebriges Gas?
    Wie schon gesagt: auch Libroterr staunte; die Zubringerbahn brachte so viele Gaffer, daß sie zum Schichtwechsel für Betriebsfremde gesperrt werden mußte. Die Touristikkonzerne richteten Parallelbahnen ein, natürlich auch FLOTELS, fliegende Hotels; für Jirros Spesensatz unerschwinglich.
    Das Sensationellste jedoch war, daß auch über den

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