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Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fühmann
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Hände an der gestreiften Hose, und der Scharführer kam heran. Nun muß ich winseln, wie ein Hund winselt, dachte 441825, und er winselte. Er war ein Hund. Der Scharführer sah ihn strahlend an. ‚Da ist er ja, unser kleiner Liebling‘, sagte der Scharführer. ‚Er hat sicher die ganze Nacht darauf gewartet.‘ — Das Winseln brach in einem erstickten ‚Jawoll!‘ ab, ein Japsen, und ein Blick, in dem Wahnsinn lachte. ‚Na denn guten Morgen!‘ sagte der Scharführer und schlug 441825 auf die Nase. Diesmal schlug er wieder auf den Nasenrücken, und auch diesmal floß kein Blut.“ —
    Ich lese nicht mehr weiter! schrie alles in Pavlo. — Plötzlich begriff er die erste Erzählung, und natürlich las er weiter, den sechshundertzweiundfünfzigsten Tag: „Es kam der 652. Tag. Wieder hatte 441825 in der Nacht nicht geschlafen, er hatte seinen armen Kopf zermartert, was es nur war, das man von ihm verlangte: Sollte er winseln oder nicht? Er wußte es nicht, und er wagte auch niemand zu fragen. Er wußte, daß die Kameraden ihn haßten, weil er so bevorzugt war, daß er noch kein einziges Mal auf den Prügelbock gelegt oder in den Steinbruch gestoßen wurde. Zum Morgenappell stand 441825 wieder in der vordersten Reihe, die gestreifte Mütze vom Kopf gerissen, die Hände an den gestreiften Hosen. Der Scharführer kam heran. 441825 war vor Angst gelähmt, er zitterte an allen Gliedern, er konnte nicht strammstehn, und er konnte nicht winseln. Der Scharführer strahlte. ‚Da ist er ja, unser kleiner Liebling‘, sagte der Scharführer. ‚Er hat wohl schon die ganze Nacht darauf gewartet? Aus der Kehle von 441825 kam ein Röhren. Die Häftlinge hatten alles Brüllen gehört, das ein Gepeitschter nur ausstoßen kann, Heulen, Kreischen, verzweifeltes Schreien, das Klatschen der Peitschen und das Pendeln der Leiber an den Ästen der Bäume, das alles war der Lageralltag, doch dieses Röhren war schauerlich. ‚Na denn guten Morgen!‘ sagte der Scharführer und schlug 441825 auf die Nase. Auch diesmal schlug er wieder von oben, und auch diesmal floß kein Blut. 441825 fiel zitternd nieder, Schaum vorm Mund. Einen anderen Häftling hätten die Nebenstehenden aufgefangen, diesen ließen sie fallen, er war bevorzugt, sie haßten ihn. Aber auch der Scharführer ließ ihn liegen und trat ihm nicht, wie üblich, die Nieren kaputt. Dann kratzte 441825 wieder Kartoffeln. Am Abend, im Block, wagte 441825, seinen Blockältesten zu fragen, was man von ihm verlange. Er wolle alles tun, er werde sonst wahnsinnig! Der Blockälteste gab ihm einen Schlag auf die Nase, ein Fingerschnipsen auf die Nasenspitze, und wies ihn ins Bett. 441825 winselte durch die Nacht, in seine Pferdedecke hinein, er war einer der wenigen, die eine Pferdedecke besaßen. In diesem Block hatte nur der Blockälteste noch eine Pferdedecke. — 441825 stand noch sieben Tage beim Morgenappell, die gestreifte Mütze vom Kopf gerissen, die Hände an der gestreiften Hose, und der Scharführer sagte noch siebenmal: ‚Da ist er ja, unser kleiner Liebling!‘, und der Scharführer fragte noch siebenmal, ob 441825 die ganze Nacht hindurch darauf gewartet habe, und die Häftlinge hatten sich schon am dritten Tag an das Röhren von 441825 gewöhnt. So schnell geht das. Siebenmal sagte der Scharführer noch: ‚Na denn guten Morgen!‘, und siebenmal noch bekam 441825 einen Schlag auf die Nase, immer von oben, auf den Nasenrücken, und nicht einmal von den sieben Malen kam Blut. Am sechshundertsechzigsten Tag seines Lagerlebens war 441825 wahnsinnig geworden. Er konnte nicht mehr Kartoffeln kratzen, der Kratzer fiel ihm aus den Händen, er rollte sich zu einer Kugel zusammen, die Arme um die Nase geschlagen, und diesmal bekam er einen Fußtritt, es war ein Fußtritt in die Nieren, aber auch dieser Fußtritt vertrieb den Wahnsinn nicht mehr. Dem Scharführer wurde Meldung erstattet. Er kam mit dem Lagerführer und sah 441825 an, wie er auf dem Boden lag, die Arme um die Nase geschlagen, und er sagte: ‚So also, Lagerführer!‘, und der Lagerführer sagte auch: ‚So also!‘ und ging. Der Scharführer gab einen Befehl. 375288 kam angerannt und erschlug 441825 mit einer Hacke. Er schlug nur einmal zu, das war schon genug.“
    Und dann stand da: ENDE; Pavlo las: „Ende“, und langsam, wie nach einem Schlag in die Magengrube, ein dumpfes Durchdringen von Leib und Seele, begann Pavlo zu begreifen, und er sagte: „Unsern täglichen Schlag —“ Plötzlich entsann er sich

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