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Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fühmann
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einen Bürger der dritten Einkommensklasse kein Pappenstiel sei, mit dem Hinweis paralysieren, daß er gewiß sobald nicht wieder solch singuläre Gelegenheit —
    Jannos Geste war verärgerte Abwehr. „Einmalig, einmalig, das sagen sie alle, und sicher wird’s für euch einmalig sein, aber in einem viel weiteren Sinne. Ich will dich vor der Zermürbung bewahren und daß du dafür auch noch blechen mußt. Du könntest dir dies alles ersparen, ganz einfach indem du dir bewußt machst, daß du ja stets die Zukunft siehst, zwar nur die abgelaufene Zukunft, aber denk sie um eine Minute zurück. Jedes Jetzt ist ja einmal ein Später gewesen; ein jedes IST war einst ein WIRD SEIN. Dieses dein Lippenschürzen zum Beispiel war vor zwanzig Sekunden das pure Futurum, und nun stell dir ein blaues Flimmern vor, und drin dich, da du die Mundwinkel hochziehst — das wäre dann deine begehrte Schau. Viel Anderes wirst du nämlich nicht sehen, und du hättest dir das Gefühl deiner Ohnmacht und dazu noch ein volles Pfund gespart. Du kannst dir so jedes Stück Alltag ausmalen: immer Blaues Flirren, und darin dich, und stets Auge in Auge, wie in einem Spiegel. Eigentlich ist es trivial.“
    Der Gast widersprach enthusiastisch. „Trivial doch nur, weil der Alltag trivial ist, oder besser: der Charakter der Zeit — ich meine jetzt nicht die Ära, obwohl die es auch ist, sondern die Zeit überhaupt, als Kategorie. Ihr Wesen ist nun einmal ein Ablauf, und da wäre es nun wirklich läppisch, für einen Nachweis Geld auszugeben, daß das jetzt Geschehende vorher nicht da war und in diesem Sinn also Zukunft sein mußte — doch eben stets unüberprüfbare Zukunft!
Darin
liegt und lag die Trivialität! Doch daß man bei euch kontrollieren kann, ob das Vorausgesehene tatsächlich eintrifft, das ist doch mehr als sensationell, auch wenn’s deine Obrigkeit nicht befriedigt. Ich glaube, ihr wißt nicht, was ihr da im Griff habt! Natürlich, ihr seid abgebrüht, ihr habt das hundertmal gesehen, doch einer, der sonst niemals hierherkommt —“
    Janno wollte etwas einwenden, allein der Besucher winkte ab. „Ich bitte dich, schildre mir’s systematisch; meinen Entschluß stößt du doch nicht um. Ich tunke also den Kopf in das Flirren und öffne die Augen — was sehe ich da? Die Zukunft
und
die Gegenwart?“
    „Mit den Augen bist du in der Zukunftsschleife, mit den anderen Sinnen bleibst du bei uns. Du hörst zum Beispiel unsere Stimmen, aber du siehst nur das Kommende.“
    „Und ihr seht ebenfalls, was ich sehe?“
    „Wir draußen können beides sehen — die Gegenwart und auch die Zukunft,
die
freilich nur als Elektroabspiegelung deines Gehirnbilds, also wie üblich recht ungenau. Doch immerhin erkennt man Konturen, sogar physiognomische Züge, und natürlich vor allem Bewegungen, etwa ob du gehst oder stehst; genauer: ob du dich gehn oder stehn siehst.“
    „Und wie läuft die Zeit? Vorwärts oder rückwärts?“
    „In der Raumkrümmung würde sie rückwärts laufen, aber stets nur in die Vergangenheit. Durch die Zeitkrümmung läuft sie wieder vorwärts, und Zukunft erscheint, doch nur ein Segment, eben das überlappende Stückchen. Nehmen wir an, du sähest eine Minute voraus, dann sähest du nicht die vollen sechzig, sondern bestenfalls die fünf Schluß-Sekunden, das wären — den Beginn des Schauens als Nullzeit genommen — die Sekunden sechsundfünfzig bis sechzig, zugleich läuft Sekunde eins bis fünf der kontinuierlichen Zeitfolge ab. Wir draußen sehn Gegenwart und Zukunft, die Zukunft freilich nur schemenhaft, während du sie ganz leibhaftig, dafür aber nur sie siehst. Sechsundfünfzig, nein, einundfünfzig Sekunden später —“
    „— geschehen eben die fünf Sekunden, die ich im Blauen Flirren gesehen.“
    „Natürlich, eben die geschehn. In der Sekunde sechsundfünfzig geschieht die Sekunde sechsundfünfzig; in der Sekunde siebenundfünfzig geschieht die Sekunde siebenundfünfzig, und so weiter bis zur Sekunde sechzig, und dann folgt die Zeit, die du nicht gesehn hast. Die Schleife hat sich zurückgespult; die Überlappungskurve ist abgewickelt; die Zukunft geht stetig in Gegenwart über, und die Zeit abgesehen von den Mikrovorgängen — läuft nur noch in einer Dimension. Nur —“
    „Spar dir’s; du bringst mich ja doch nicht davon ab!“
    „Nur, wollte ich sagen, siehst du keine Minute, sondern höchstens ein paar Sekunden weit.“
    Die Augen des Besuchers begannen zu blitzen, und daraufhin auch ein

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