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Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fühmann
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Beton.
    Janno stockt das Herz.
    Stille; kein Aufruf. — Hat man ihn vergessen?
    Das kann doch nicht sein.
    Sich bemerkbar machen? Das wäre unmöglich! Und plötzlich spürte Janno wieder die Angst. Es würgte ihn, sich zu übergeben, und er saß, wie er zu sitzen hatte; sein Magen hob sich; er schluckte; es half nichts, und da plötzlich dachte Janno fast schreiend, daß man das doch mit einem nicht machen könne, daß man ihn nicht so behandeln dürfe, daß er ein Recht auf eine Erklärung habe, daß es unmen-
    und er brach ab; und wieder die Leere, und in der Zelle vollkommene Stille; und Janno starrte die graue Wand an: das graue Handtuch, die graue Schüssel, der Fremde am Musikautomaten, wie er dastand und schrie und schrie und schrie —: kein Ruf, keine Worte, nichts als ein Schreien, ein stöhnendes, immer mehr sich verstärkendes Schreien, das Schreien jenes Schreis, an dem Janno würgte;
    und da dachte Janno, daß es jetzt genug sei, und daß er jetzt aufstehen und hinausgehen werde, eine Erklärung zu verlangen, und Janno preßte seine Hände gegen die Schenkel, mit einem Ruck sich zu erheben, da schlug die Tür auf und der Professor trat ein. Ob der Kandidat krank sei, fragte er noch auf der Schwelle; es klang mehr als Zurechtweisung denn als Sorge, und Janno, nun im Aufschnellen vor dem Prüfer durch ein hastiges Kopfschütteln die Frage verneinend, begriff, da der Professor — nach einem Blick fast des Abscheus und ohne ein weiteres Wort — zurücktrat, und die Tür sich schloß, und der Beton weiterhin stumm blieb, daß er schon längst in der Prüfung stand.
    Er hörte den Schrei des Fremden heulen und begriff, daß er verloren war.
    Wir wollen die zwei Stunden — denn so lange mußte Janno noch warten — nicht schildern; es mag genügen, wenn wir mitteilen, daß es die längsten Stunden im jungen Leben Jannos waren. Äußerlich konnte man wenig merken: Er saß, nachdem er, niedergesackt, sich wieder auf seinem Stuhl gefunden, zwar von Brechreiz gewürgt und bisweilen sich krümmend und bei zu argem Drang einmal auch stöhnend, dennoch vorschriftsmäßig da, mit recht gewinkelten Armen und parallel zu den Stuhlbeinen laufenden Beinen, und blieb in dieser Haltung sitzen, bis der Anruf, er möge herauskommen, erscholl. — Was im Innern vorging, entsprach dem Äußern: die Bewegung des Schreis, der Kampf, ihn zu ersticken, und das Mühen, eine Art Haltung zu wahren. Das Ergebnis war schließlich Apathie.
    Diese Apathie war nichts als ein Abschluß; die Lähmung zu Anfang war anderer Art. Als Janno auf seinen Stuhl niedergesackt und für die Ewigkeit einer Sekunde allen Denkens ohnmächtig gewesen, war dies als der Schock eines Erkennens ein Anfang, jedoch als Erkenntnis, verloren zu sein, wiederum im Anfang ein Ende, und beides vermischte sich wunderlich. — Anfangs schien nur das Ende da, und Janno erblickte es beinah dankbar: Endlich, endlich alles vorbei! Die Qual des Wartens endlich geendet, das Geschwür der Ungewißheit geplatzt, wohltätiges Erschlaffen unerträglicher Spannung, und so erwartete Janno gefaßt, und in dieser Gefaßtheit fast gierig (in welcher Gier schon ein Planen sich regte, was er danach zu tun gedenke, und so schwang auch ein Hauch von Freiheit mit) —: so erwartete Janno also den Anruf, sich aus der Universität zu scheren. Doch als die Zeit weiterhin gestockt blieb, grau und stumm wie der Beton, und nicht Anruf noch Erklärung erfolgte, begriff Janno, daß es so glimpflich nicht abgehen werde und Kameraden Volksschützer alarmiert worden seien, ihn dorthin zu bringen, wohin ein Feind Uniterrs gehörte! Der Gedanke erschreckte ihn nicht: auch das Gefängnis war ein Ende. — Nichts in Janno dachte an eine Flucht. — Der Beton blieb stumm; warum geschah nichts? Die Kameraden Volksschützer hätten längst dasein müssen: Begann das Warten noch einmal von vorn? Und mit der Angst fühlte Janno wieder den Schrei in sich steigen, und da, und ganz langsam, im Niederzwingen, wie ein langsames Sich-Auftun einer fleischblättrigen Blume, dachte Janno, sein Vater sei schuld.
    Sein Vater war schuld, kein andrer als sein Vater: Warum hatte er Jannos Ohren nicht zugehalten, als dieses ruchlose Schreien erschollen? Warum waren sie in dies Restaurant gegangen? Der Vater hätte doch wissen müssen, daß dort solche Greuel geschahen! — Wo nur die Kameraden Volksschützer blieben, daß er ihnen alles gestehe; er würde sofort alles gestehen, sie sollten wissen, daß er den Feind in

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