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Saiäns-Fiktschen

Saiäns-Fiktschen

Titel: Saiäns-Fiktschen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franz Fühmann
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ein Feind in eine Festung einfällt, die sich für uneinnehmbar gehalten: jählings, dröhnend, ringsum Lähmung verbreitend, und in das Entsetzen des überrumpelten Hirnes brach ein zweites, noch unvorstellbareres Wort.
    Janno nahm wahr, daß sein Hirn dachte: NIEDER MIT UNITERR!
    Mein Gott, da sitzt er vor seiner Prüfung, Janno, noch nicht zwanzigjährig, in seiner Mittelschuluniform aus grauem Zwilch mit grauen Knöpfen und dem kleinen violetten Stern des Schulbesten in der Mitte der Achselklappe, und ist ein Feind seines Vaterlandes, des fortgeschrittensten Teils der Erde, auf den hin das Weltall angelegt ist. Er sitzt da, wie er zu sitzen hat, die gewinkelten Unterarme und gestreckten Hände auf den parallellaufenden Oberschenkeln; sein Gesicht ist so grau wie der Beton, und wir, die wir das Geschehenwerdende erzählen, wissen nicht so recht, wie wir fortsetzen sollen: mit einem hypothetischen Erklären, wie dies Unvorstellbare sich einstellen konnte (also gleichsam mit dem Passiv des Plusquamperfekts des Futurum exaktum), oder mit dessen Präteritum, also dem, was nun weiter geschah, wenn es geschehen wird. — Um doch mit dem letzten fortzufahren: Als im Erscheinungsbild faßbar geschah nicht viel, wiewohl viel geschah: Janno blieb sitzen, wie er gesessen, sein Mund blieb geschlossen wie seine Knie, seine Haltung blieb straff, sein Blick gradaus, allein unter den jäh weitgewordenen Augen, deren klares Weiß brüchig zu glitzern anfing, war dies alles der Übersprung des Schreckens aus dem Denken auf den Leib. — Wohl eine Sekunde saß Janno so starr, dann wurde das Weiß seiner Augen trüb, und dann zitterten seine Hände.
    Dabei dachte er eigentlich Tröstliches. — Doch, doch —: Er dachte, welches Glück er doch habe, daß ihm das Unvorstellbare noch vor dem Prüfungsbeginn widerfahren, vor dem Anlegen der Elektroplatten an Stirn und Nacken; daß der Feind, der da irgendwo in seinem Hirn stak, sein Geschoß gleichsam zu früh abgeschossen; und die Erleichterung, die Janno da spürte, wenngleich sein Leib noch immer bebte, deckte sofort die Frage zu, wie das Undenkbare denkbar gewesen. Er wußte, daß er daran nicht rühren durfte, mit keinem Gedanken, mit keinem Gefühl; schon dieses Wissen des Davon-nicht-wissen-Dürfens war zuviel. — Wovon „davon“? — Nichts; nichts; nichts; vorbei. — Ich habe volles Vertrauen, dachte Janno, es geschieht alles zu Uniterrs Wohl!
    Und er dachte, daß er Uniterr liebe, und er dachte keine Lüge dabei.
    Da sitzt also Janno, noch keine zwanzig Jahre, schwarze Haare, rote Lippen, betongraues Gesicht; er sitzt immer noch aufrecht in straffer Haltung, und daß nun alle Nerven und Poren zittern, ist nur der Schock der Erleichterung, denn Janno weiß nicht und kann nicht wissen, daß all dies schon längst seine Prüfung
ist:
Sie hat begonnen, da er den Raum betreten, und vor seinem Prüfungsrat — einem der zweihundert, die zur Bewußtseinserhebung der alle gleich Janno in gleichen Räumen auf gleichen Stühlen in gleicher Verlassenheit sitzenden zweihundert Immatrikulationsanwärter dieses Vormittags berufen sind — liegt, und schon dechiffriert, das Denken seines Kandidaten, und der Prüfungsrat — eine Dreiergruppe — sieht durch die Ein-Weg-Sicht-Wand hinter dem Handtuch dazu auch Jannos Physiognomie. Natürlich ist es der Stuhl des Prüflings, der die Denkströme auffängt und, verstärkt, zu den ellipsoidschalenförmigen Empfangsgeräten leitet, wo die Vorgänge im Gehirn des Prüflings als farbige Raummodelle erscheinen, während gleichzeitig ein Computer sie für ein Lesegerät sprachlich faßt. — In der Physiognomie lesen die Prüfer direkt. So deuten sie — erfahrene Spezialisten — Jannos unmutiges Augenzucken gewiß als Zeichen eines Erinnerns (das auch im Schalenmodell durch eine spezifische Färbung, vielleicht hellblau, als Erinnerungsakt charakterisiert wird), denn dem Janno, wiewohl er sich dagegen sträubt, so gut man sich eben sträuben kann, wenn man den Gegenstand seines Sich-Sträubens sich bewußt zu machen vermeiden muß, dem Janno fällt plötzlich der Musikautomat seines Restaurants ein, der graue Kasten, das Fünfnummernprogramm, die Melodie und der betrunkene Gast, der Janno nun anschaut und ein leeres Gesicht hat und irgend etwas in den Saal schreit, und Janno ahnt, was der Gast geschrien, und weiß es und müht sich, es nicht zu wissen: jeden Augenblick kann ja die Stimme ertönen, die ihn in den Prüfungsraum ruft.
    Es knackt im

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