Saiäns-Fiktschen
wußte Pavlo, wie die Geschichte ausgehen mußte: Der Reisende und der Soldat überwältigen den Offizier, befreien den Verurteilten und schlagen sich in die Freiheit durch.
Pavlo zitterte; es war ungeheuer. — Im Entschweifen hatte er die Zeile verloren; gierig suchte er den Fortgang; Schatten seiner gleitenden Hand. — „‚Das Verfahren hat Sie also nicht überzeugt‘, sagte er“ — das ist der Offizier, dachte Pavlo — „für sich und lächelte, wie ein Alter über den Unsinn eines Kindes lächelt und hinter dem Lächeln sein eigenes wirkliches Nachdenken behält.
‚Dann ist es also Zeit‘, sagte er schließlich und blickte plötzlich mit hellen Augen, die irgendeine Aufforderung, irgendeinen Aufruf zur Beteiligung enthielten, den Reisenden an.
‚Wozu ist es Zeit?‘ fragte der Reisende unruhig, bekam aber keine Antwort.
‚Du bist frei‘, sagte der Offizier zum Verurteilten in dessen Sprache. Dieser glaubte es zuerst nicht.“ — Pavlo glaubte es, er wußte nun alles: Diese plötzliche Gnade war eine List des Offiziers, das Bündnis der drei noch im Entstehen zu sprengen, denn nun würde, des war sich Pavlo gewiß, der Reisende in die Maschine geschnallt.
„‚Zieh ihn heraus‘, befahl der Offizier dem Soldaten.“
Der gehorchte; diese Spannung! — wiewohl man doch das Ende wußte, aber ehe man dahin kam! — Der Verurteilte war freigekommen; der Offizier — welche Niedertracht! — zeigte dem Reisenden ein anderes Muster, für die neue Nadelführung der Egge; der Reisende konnte die doch ihm zugedachte Schrift nicht entziffern. — „Nun begann der Offizier die Aufschrift zu buchstabieren und dann las er sie noch einmal im Zusammenhang. ‚›Sei gerecht!‹ — heißt es‘, sagte er, jetzt können Sie es doch lesen.‘“ — Was soll das bedeuten: SEI GERECHT? dachte Pavlo, das paßt doch überhaupt nicht hierher! — „Der Reisende beugte sich so tief über das Papier, daß der Offizier aus Angst vor einer Berührung es weiter entfernte; nun sagte der Reisende zwar nichts mehr, aber es war klar, daß er es noch immer nicht hatte lesen können. ‚›Sei gerecht!‹ — heißt es‘, sagte der Offizier nochmals. ‚Mag sein‘, sagte der Reisende, ‚ich glaube es, daß es dort steht.‘ — ‚Nun gut‘, sagte der Offizier, wenigstens teilweise befriedigt, und stieg mit dem Blatt auf die Leiter; er bettete das Blatt mit großer Vorsicht im Zeichner und ordnete das Räderwerk scheinbar gänzlich um“.
Jetzt legt er den Reisenden drunter! dachte Pavlo, und der wird sich an den Freigelassenen wenden, mit einer flammenden, aufrüttelnden Rede, und sie werden den Offizier überwältigen; und Pavlos Denken durchfuhr ein Verlangen, daß die drei nun den Offizier in den Apparat schnallen würden, aber er dachte das nicht zu Ende, es war zu ungeheuerlich! Der Spruch freilich hätte dann gepaßt, doch wie hätte der Offizier darauf kommen sollen, das war gewiß ein Versehen des Autors; allein als dann, und indes der Soldat und der Freie in albernstem Stumpfsinn die Zeit totschlugen, der Offizier seine Uniform auszog und sich selbst unter die Egge legte, nackt und waffenlos, und den Filz in den Mund nahm, begriff Pavlo überhaupt nichts mehr. Er fühlte sich um sein Ende betrogen, und es war auch keine Spannung mehr, wie diese Erzählung anders ausgehen könne. — Ein aberwitziges Hirngespinst! — Als dann — denn Pavlo las trotzdem weiter —, den Offizier mit gleichzeitigem Zustich all seiner Nadeln wie des Stahlstachels zerspießend und über die Abfallgrube schwenkend, der Apparat lautlos Selbstmord beging (man konnte das Ausstoßen all seiner Räder aus dem Zeichner wirklich nicht anders benennen), wollte Pavlo die Lektüre abbrechen, doch da sah er, daß ihm nur mehr zwei Seiten blieben, und entschloß sich, zu Ende zu lesen, und seine Verwirrung wurde Ratlosigkeit. — Hatte er vordem so unverständliche Wörter wie „Strafkolonie“, „Ledermappe“, „Zierat“ verstanden, obwohl er deren Begriffe ermangelte, so war da fortan kein Wort, dem Begriffliches fehlte, doch nun wurde mit dem unverstehbaren Schluß Pavlo das Ganze unverständlich. Alles zerfiel, wie das Radwerk des Zeichners, es endete einfach — nun, unerlaubt: Der Reisende, und mit ihm der Soldat und der Sträfling, waren, nachdem der zerstochene Leichnam des Offiziers in die Grube geklatscht (Pavlo glaubte dies so gelesen zu haben), in die Stadt und dort in ein „Teehaus“ gegangen, wo, wie der Reisende nun
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