Sailer und Schatz 01 - Das ist mein Blut
seine Kinder unabsichtlich irgendwelche Spuren durcheinander gebracht hatten? Aber Katharina schüttelte entschieden den Kopf. »Das Fenster war ja noch nicht zerschlagen. Ich hab das Tuch vor dem Einbruch gefunden. Und dann haben wir es benutzt, als wir Krimi gespielt haben, weißt du?«
»Bist du sicher?« Unmöglich, dachte Römer, es mussten die Einbrecher gewesen sein, die das Stück Stoff verloren hatten – wer außer seinen Kindern kam sonst an diese abgelegene Stelle hinter der Kirche, noch dazu mit einem Tuch der Paramentik in der Hand?
Seine Tochter nickte heftig. »Ganz sicher. Weil, ich hätte es gesehen, wenn das Fenster kaputt gewesen wäre. Und am nächsten Tag haben wir Krimi gespielt, weil ich das Tuch so gerne als Spur benutzen wollte, um den Mörder seiner abscheulichen Tat zu überführen, und wenn ich gewusst hätte, dass bei uns eingebrochen wird, hätt’ ich nicht Krimi spielen wollen.«
Trotz Katharinas holpriger Sprechweise gab es für Römer keinen plausiblen Grund, die Aussage seiner Tochter anzuzweifeln. Vielmehr jagten ihm plötzlich unangenehme Gedanken durch den Kopf. Wenn das Tuch wirklich schon aus der Sakristei abhanden gekommen war, bevor das Fenster mit den Emmausjüngern zerschlagen wurde – ja, was musste er dann daraus schließen? Eher, um Zeit zu gewinnen, hakte er nochmals nach: »Und du bist sicher, ja? Dann müsstest du das Tuch am Sonntag gefunden haben, denn am Montag habe ich das zerbrochene Fenster entdeckt. Stimmt das?«
»Ja, nämlich Grit war am Montag da, da haben wir Krimi gespielt. Da hatte Kathi das Tuch schon.« Das war Johannes, der aufgeregt auf die Bank geklettert war und jetzt auf nackten Knien auf und ab wippte, die wie immer von ein paar Schürfwunden verunstaltet waren. Katharina dachte nochmals ernst nach, dann nickte sie. »Ich weiß es genau. Und wir hätten nicht Mord spielen wollen, wenn wir das schon gewusst hätten mit dem Einbruch. Und, Papa?«, ihr Gesicht sah plötzlich sehr blass und angespannt aus. »Was machen wir, wenn bei uns eingebrochen wird? Und Mama ist auch nicht da. Ich hab Angst.«
»Genau«, stimmte Johannes zu, der allerdings nicht wirklich furchtsam klang, sondern eher aufgeregt. »Und wir sind abends so oft alleine. Könnten wir nicht einen Hund kaufen?«
Herwig Römer seufzte unhörbar. Es war wohl wieder einmal Zeit gewesen für dieses leidige Thema. Andererseits – er versank in die Betrachtung des weißen Stoffes in seiner Hand –, ein Mord war geschehen. Die Welt war ein unsicherer Ort. Und sein Sohn sah ihn mit eifrigen, seine Tochter mit ängstlich großen Augen an.
»Wir reden darüber, wenn eure Mutter zurückkommt«, versprach er.
Und dann ging er, um sich das jetzt notdürftig mit Folien verschlossene Fenster und den Platz zwischen Kirchenwand und Mauer noch einmal genau anzusehen. Dabei spielte er gedankenverloren mit dem Tuch und wog es in seiner Hand, als könnte es ihm Antwort auf die Fragen geben, die sein Auftauchen verursacht hatte.
Weißenburger Tagblatt vom 24.5.
Grausiger Leichenfund in römischer Ruine.
Ellingen. og. In den Überresten des Castrums Sablonetum, der Ruine des Römerlagers vor Ellingen, wurde gestern Morgen ein Toter aufgefunden. Die Polizei geht von einer Gewalttat aus, wollte aber zunächst aus ermittlungstechnischen Gründen keine näheren Angaben zur Todesart und –zeit machen. Bei dem Toten handelt es sich nach Polizeiangaben um einen Journalisten aus Nürnberg. Über mögliche Hintergründe der Tat ist bislang noch nichts bekannt geworden. Die Ruinen des Castrum Sablonetum sind außer einer touristischen Attraktion auch Treffpunkt verschiedener Gruppen von Jugendlichen.
7
Eva hatte nicht gefrühstückt, wenn man von der einen Zigarette im Auto absah, und ihre Laune war nicht die beste, als sie am nächsten Morgen vor der Polizeiwache in Weißenburg ankam. Immerhin hatte es aufgeklart. Der Himmel wirkte wie aus einem Werbeprospekt für das fränkische Seenland, und selbst die Temperatur war – am Mittel dieses wankelmütigen Frühjahrs gemessen – beinahe angenehm. Sie fand Rainer in seinem Büro vor dem Computer, als hätte er ihn die ganze Nacht nicht verlassen, aber neben dem Bildschirm lagen zwei aktuelle Zeitungen.
»Wir müssen mit diesem Zeitungsfreund reden, hab ihn schon angerufen. Morgen«, lautete seine Begrüßung.
»Morgen«, gab Eva brummig zurück. »Sonst was Neues?«
Er reichte ihr die eine Zeitung, den Weißenburger Anzeiger, der eine
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