Sakrament der Lust
verändert. Ich habe ein Gespür für die Gefühle der Menschen um mich herum entwickelt und wurde sehr emphatisch. Materielle Dinge verloren an Bedeutung, stattdessen entwickelte ich einen ungeheuren Wissensdurst und las viele Bücher, vor allem über Philosophie. Nachdem ich damals aus dem Krankenhaus entlassen wurde, lief ich zum Beten in eine Kirche - zum allerersten mal in meinem Leben. Ich bat um Hilfe für die Erfüllung meiner Mission. Da kam ein Priester und wunderte sich über den jungen Mann der so alleine und inbrünstig in der Kirche betete. Wir unterhielten uns und ich erzählte ihm, was ich mir wünschte. Das beeindruckte ihn wohl und er bot mir seine Unterstützung an. Ich kam in eine Klosterschule und lebte dort im Internat. Danach finanzierte mir eine Stiftung das Theologiestudium. Die Kirche hat mich damit gerettet vor einem Leben im sozialen Brennpunkt und ich bin ihr unendlich dankbar dafür.» Nach einer Pause fügt er hinzu: «Aber jetzt habe ich ihnen meine halbe Lebensgeschichte erzählt, obwohl ich eigentlich Ihnen Trost spenden wollte...»
«Das haben Sie doch schon getan und ich würde sehr gerne auch noch die andere Hälfte ihrer Lebensgeschichte kennen lernen!»
Ich höre ihn leise lachen.
«Was wollen Sie denn noch wissen?»
«Haben Sie keine Probleme mit dem Zölibat?»
Ich halte die Luft an und es entsteht ein unangenehmes Schweigen. Habe ich das gerade wirklich gefragt? Gut dass er nicht sehen kann, wie mir das heiße Blut in den Kopf steigt.
«Es fällt mir nicht immer leicht,....», er holt tief Luft, «aber für mich steht meine Mission im Vordergrund. Danach richte ich mein Leben aus.»
«Waren Sie...», ich breche die Frage ab, denn was mir nun auf der Zunge liegt, ist wirklich viel zu privat.
«Was wollten Sie fragen?»
«Ach nichts! Ich bin einfach zu neugierig!»
«Fragen Sie einfach, ich kann ja im Notfall die Aussage verweigern!»
«Ähm, waren Sie schon mal verliebt?», bringe ich unsicher hervor.
Es herrscht wieder Schweigen und ich befürchte, dass ich doch zu weit gegangen bin mit meiner Neugier. Das alles geht mich doch überhaupt gar nichts an.
«Ja, vor meinem Unfall hatte ich eine Freundin - Mia. Sie wurde erschossen! Sie war sofort tot, ich konnte mich noch nicht einmal von ihr verabschieden. Ich habe damals ein einen Raubüberfall begangen und sie bezahlte dafür mit ihrem Leben!»
Zu mehr als einem «Oh!» bin ich nicht fähig. Das klingt einfach alles zu tragisch und traurig. Da bin ich wohl in ein riesengroßes Fettnäpfchen getrampelt.
«Solche Abgründe haben Sie von einem Priester wohl nicht erwartet!»
Nein, absolut nicht, denke ich.
«Nein, Entschuldigung! Ich wollte ihnen wirklich nicht zu nahe treten!», antworte ich hastig.
«Das sind Sie nicht! Aber jetzt wissen Sie schon viel zu viel von mir und weiß kaum etwas über Sie, außer, dass Sie ihrem Exmann nachtrauern!»
Mir wird wieder warm ums Herz, als ich spüre, dass er etwas über mich erfahren möchte. Er interessiert sich also für mich!
«Was möchten Sie denn wissen?»
«Was treibt Sie an im Leben?»
«Ich male - keine großen Kunstwerke, sondern Auftragsarbeiten. Mein Traum ist es, einmal in meinem Leben eine große Vernissage zu veranstalten, die überall in der Presse steht. Das Wichtigste neben meiner Arbeit ist mir aber meine Tochter.»
Ich weiß nicht, wie viele Stunden vergehen, in denen wir zusammensitzen und einfach nur miteinander reden. Ich erzähle ihm, wie ich Paul auf einer Eislaufbahn kennengelernt habe, von Lisas Geburt und davon, wie meine Eltern nach Australien auswanderten, als ich zwanzig wurde. Ich wollte nicht mit, weil ich damals gerade frisch in Paul verliebt war und insgeheim auch deshalb, weil ich unter Flugangst leide. Das laute Knurren meines Magens erinnert mich daran, dass die Zeit nicht wirklich stehen geblieben ist, aber es fällt mir unendlich schwer, mich von diesem Mann wegzubewegen.
«Sie müssen nach Hause gehen und etwas essen!», fordert er mich schließlich auf, als sich mein Magen zum dritten mal geräuschvoll beschwert.
«Ja, das muss ich wohl!»
Am liebsten würde ich ihn jetzt nach Namen und Telefonnummer fragen, aber irgendwie kommt mir das verdammt unpassend vor, bei einem Priester im Beichtstuhl. Und so öffne ich schweren Herzens den Vorhang.
«Auf Wiedersehen und vielen Dank!», sage ich.
«Auf Wiedersehen! Es war schön, Sie kennengelernt zu haben!»
Ich strahle bis über beide Ohren, als er das sagt und schlüpfe aus
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