Salambo
Plötzlich aber nahm er von neuem einen Anlauf und begann darauf loszurennen, während seine Lippen bebten, als ob er Schüttelfrost habe. Er stürzte durch die BudesstraÃe, die Söpogasse, über den Gemüsemarkt und kam auf dem Khamon-Platz an.
Jetzt gehörte er den Priestern. Die Ratsdiener hatten die Menge zurückgedrängt. Hier gab es mehr Raum. Matho schaute sich um, und seine Blicke trafen Salambo.
Beim ersten Schritt, den er getan hatte, war sie aufgestanden und unwillkürlich, je näher er kam, immer mehr bis an den Rand der Terrasse vorgetreten. Bald war die AuÃenwelt für sie verschwunden. Sie sah nur noch Matho. In ihrer Seele war es still geworden. Einer jener Abgründe hatte sich in ihr aufgetan, in dem die ganze Welt versinkt unter der Wucht eines einzigen Gedankens, einer Erinnerung, eines Blickes. Dieser Mann, der da auf sie zulief, zog sie mit Zaubergewalt in seinen Bann.
Er hatte, die Augen ausgenommen, nichts Menschenähnliches mehr. Sein Körper war eine über und über rote Masse. Die zerrissenen Stricke hingen an seinen Schenkeln herab, aber sie waren nicht mehr von den Sehnen seiner völlig entfleischten Glieder zu unterscheiden. Sein Mund stand weit offen. Aus seinen Augenhöhlen sprühten zwei Flammen, die bis zu seinen Haaren empor zu lodern schienen â und doch ging der Unglückliche immer noch weiter.
Er kam gerade bis an den Fuà der Terrasse. Salambo hatte sich über die Brüstung geneigt. Seine fürchterlichen Augen blickten sie an, und plötzlich kam ihr alles ins Bewusstsein, was er für sie gelitten hatte. Dort lag er im Sterben. Sie aber sah ihn in seinem Zelt auf den Knien liegen, ihren Leib mit seinen Armen umschlingen und Koseworte stammeln. Es dürstete sie danach, die Worte von damals noch einmal zu hören. Er sollte nicht sterben! In diesem Augenblick ergriff Matho ein heftiges Zittern. Sie wollte rufen. Da stürzte er rücklings zu Boden und regte sich nicht mehr.
Halb ohnmächtig wurde Salambo von den Priestern, die sich um sie bemühten, auf ihren Thron zurückgetragen. Man beglückwünschte sie. Das war ihr Werk! Ãberall um sie herum klatschte man in die Hände, stampfte mit den FüÃen und heulte ihren Namen.
Ein Mann stürzte auf den Toten. Obwohl er bartlos war, trug er doch den Mantel der Molochpriester um die Schultern und am Gürtel ein eigentümliches Messer, das zum Zerlegen des Opferfleisches diente und am Ende des Stieles in einen goldenen Spatel auslief. Mit einem einzigen Schnitt spaltete er Mathos Brust, riss das Herz heraus und legte es auf eine Schale. Es war Schahabarim. Er hob den Arm hoch und bot das Herz der Sonne dar.
Glühend stand sie über den Fluten, und ihre letzten Strahlen trafen wie lange Pfeile das blutrote Herz. Je tiefer ihre Scheibe ins Meer sank, desto schwächer wurden seine Schläge, und bei dem letzten Zucken des Muskels schwand auch die Sonne.
Da erscholl vom Golf bis zur Lagune und von der Landenge bis zum Leuchtturm, in allen StraÃen und auf allen Tempeln, ein einziger Schrei, der manchmal aufhörte und dann wieder erklang. Die Gebäude erbebten. Karthago zuckte zusammen wie im Krampfe titanischer Freude und grenzenloser Hoffnung.
Naravas, von Stolz berauscht, legte zum Zeichen des Besitzes seinen Arm um Salambos Leib und ergriff mit der Rechten eine goldene Trinkschale, die er auf Karthagos Glück leerte.
Salambo erhob sich gleich ihrem Gemahl, mit einer Schale in der Hand, um ebenfalls zu trinken. Da sank sie mit zurück gebogenem Haupt auf die Lehne des Thrones nieder, bleich, starr, mit offenen Lippen. Ihr gelöstes Haar wallte zum Boden herab.
So starb Hamilkars Tochter, weil sie den heiligen Mantel der Tanit berührt hatte.
***
1 Die Todesart Mathos ist so überliefert und bildet den Abschluss des langen, grausamen Krieges Karthagos gegen seine ehemaligen Söldner
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