Salon der Lüste - 3
Fall ist es eine Wohltat, dich zu sehen.«
»ja«, pflichtete Madeline ihr bei und bedeutete ihnen, sich zu setzen. »Abgesehen von den schrecklich aufdringlichen Zeitungsleuten bist du der einzige Besuch, den wir dieser Tage empfangen.«
Millie zog eine angewiderte Miene. »Ist es so übel?«
»Sie sagen, Jack the Ripper sei wieder da und ein Kunde von uns«, erzählte Ivy.
Die Ältere riss die Augen weit auf. »Oh, wie beängstigend! «
Was Ivys Meinung nach noch eine Untertreibung war, aber natürlich war Millie sich des Ernstes ihrer Lage bewusst und wollte sie gewiss nicht beleidigen.
Millie wandte sich Madeline zu, als Emily hereinkam und einen Teewagen mit ihrem Essen brachte. »Denkst du, du musst das Haus schließen?«
»Wir haben schon wegen Trauer geschlossen«, erklärte Madeline, die Emily beim Servieren half. »Wenn der Mörder gefasst ist, öffnen wir wieder.«
Ivy entging das aufmunternde Lächeln nicht, das ihre Mutter Emily zuwarf. Etwas daran stimmte nicht.
Offenbar dachte Millie dasselbe, denn sie wartete, bis Emily gegangen war, ehe sie fragte: »Überlegst du, nicht wieder zu öffnen?«
Madeline schüttelte den Kopf und spießte ein Stück Fisch mit ihrer Gabel auf. »Wir müssen. Einige der Mädchen wüssten gar nicht, wo sie sonst hinsollten. Aber falls der Mörder nicht überführt wird, fürchte ich, dass viele unserer Stammgäste aus Angst nicht mehr kommen werden.«
»Angst um ihr Leben?« Millies Augen wurden noch größer.
»Eher um ihre Reputation«, erwiderte Ivy trocken. »In eine Mordermittlung verwickelt zu sein gefährdet die Diskretion.«
»Das Haus wird wieder öffnen«, wiederholte Madeline entschieden und blickte auf ihren Teller. »Allerdings unter neuer Leitung.«
Ivy ließ ihre Gabel fallen. »Wie bitte?«
Als ihre Mutter zu ihr aufblickte, wirkte sie ausgesprochen klar und entschlossen.
Diesen Blick kannte Ivy sehr gut, und er hieß, dass ihre Mutter eine Entscheidung gefällt hatte, von der sie sich durch nichts und niemanden abbringen lassen würde.
»Ich begebe mich in den Ruhestand«, verkündete Madeline. »Ihr seid die Ersten, die es erfahren. Sobald ich eine geeignete Nachfolgerin finde, überschreibe ich ihr die Leitung des Hauses -Reigns Einverständnis vorausgesetzt natürlich.«
Millie sagte etwas, doch Ivy hörte gar nicht mehr zu. Stumm vor Staunen saß sie da. Warum hatte ihre Mutter ihr gegenüber die Pläne vorher mit keinem Wort angedeutet?
Schließlich wandte Madeline sich an sie, ihre Miene eine Mischung aus Reue und Entschlossenheit. »Ivy, Liebes, Reign hat seine Zustimmung zu dir bereits gegeben.
Selbstverständlich bekommst du als Erste das Maison Rouge angeboten.«
Für manche Frauen mochte es einem Affront gleichkommen oder zumindest sehr verwunderlich sein, böte man ihnen die Leitung eines Bordells an, doch für Ivy, die als kleines Kind schon Madam gespielt hatte, während andere Mädchen Teeparty spielten, kam es nicht allzu überraschend.
»Ich … «
Ihre Mutter legte ihre Hand auf Ivys. »Du musst jetzt nichts sagen. Denk in Ruhe darüber nach. Vom Treuhandvermögen deines Vaters kannst du viele Jahre sorgenfrei leben, also musst du nicht arbeiten, sofern du nicht willst.«
Ja, und Ivy hatte vor, das Geld gut zu verwenden. Anfangs, als sie von dem Vermögen erfahren hatte, dachte sie daran, es zurückzugeben. Doch dann beschloss sie, es aus Trotz zu behalten.
»Aber«, fuhr ihre Mutter fort, »die Mädchen hier kennen dich und vertrauen dir. Die Veränderung wäre leicht für sie, und wenn irgendjemand das Maison Rouge aus diesem Alptraum befreien kann, dann bist du es.« Ihre Mutter lächelte, wie es nur eine liebende Mutter konnte, und strich Ivy sanft über die Wange.
»Was ist, wenn Ivy eines Tages heiraten möchte?«, fragte Millie. »Die wenigsten Männer würden eine Frau akzeptieren, die ein Bordell besitzt.«
Es lag kein Hauch von Boshaftigkeit in ihren Worten; Millie sprach lediglich aus, was der gesunde Menschenverstand und die Ehrlichkeit geboten. »Dann werde ich eben einen finden müssen, der es akzeptieren kann«, antwortete Ivy schmunzelnd.
Ihr fielen sogar gleich zwei ein: Justin und Saint. Justin würde ihr zur Seite stehen, ihr helfen und nicht einmal mit der Wimper zucken. Justin, der sie stets akzeptierte, der all ihren Wünschen nachgab und ihr niemals sagte, was sie tun oder lassen sollte.
Justin, der nie verlangte, dass sie nicht versuchen sollte, ihn zu beschützen, wie er sie beschützen
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