Salon der Lüste - 3
dass er ein Vampir war?
Hatte jemand aus dem Maisen Rouge ihn verraten? Nein, das war ausgeschlossen.
Keines der Mädchen würde so etwas tun. Diese Möglichkeit wollte Ivy nicht einmal in Betracht ziehen.
Sie lief nach oben in ihr Zimmer, um sich umzukleiden, und wählte eine Bluse mit hohem Kragen, der die Bissmale verdeckte. Hätte sie seine Reißzähne nicht so deutlich gefühlt, hätte sie beinahe glauben können, es wäre alles bloß ein Traum gewesen.
Ein unglaublicher, erregender, markerschütternder Traum, aus dem sie nicht wieder erwachen wollte, obwohl er sie zutiefst ängstigte.
Die Erregung, die sie empfand, wann immer sie mit Saint zusammen war, wurde stets von einer Menge Schuldgefühlen begleitet. Seit seiner Ankunft waren Wochen vergangen, und nach wie vor führte der Mörder sie an der Nase herum. Doch sie würden das Monstrum finden. Die Bewohnerinnen des Maison Rouge mussten die Gewissheit haben, dass den Mädchen Gerechtigkeit widerfahren war.
Ihre Mutter befand sich bereits im vorderen Salon, wo ein kleiner Tisch für das Mittagessen gedeckt war. Sie rückte das Tafelsilber zurecht und zupfte an dem elfenbeinfarbenen Tischtuch, dabei hatte Emily alles perfekt arrangiert. Selbst der Buckingham Palace wäre neidisch auf eine so elegante Tafel.
Ivy ging zu ihrer Mutter und küsste sie auf die Wange. »Ich bin froh, dass du auf bist! «
Madeline sah zerbrechlicher denn je aus, doch die Hand, mit der sie Ivys tätschelte, war erstaunlich stark. »ja, ich auch. Danke, dass du mir keine Wahl gelassen hast.«
Ivy lächelte. »Wir stehen das durch.«
»Ich weiß«, sagte Madeline und nickte. »Aber ich fühle mich schrecklich, weil ich sie nicht beschützen konnte. Diese Mädchen … « Tränen glänzten in ihren Augen. »Sie standen mir fast so nahe wie du.«
Ivy nahm ihre Mutter in die Arme und hielt sie fest. Als Madeline sich aus der Umarmung löste, wirkte sie wieder gefasster. »Ich sollte aufhören, ständig nur an die entsetzlichen Tragödien zu denken.«
»Saint wird den Mann finden, der das getan hat, Mama. Darauf müssen wir vertrauen.«
Ihre Mutter sah sie fragend an. »Wie ich mich entsinne, warst du nicht sicher, was seine Fähigkeiten betrifft. Woher der Sinneswandel?«
Ivy zuckte mit den Schultern. »Ich habe gesehen, wie sehr er sich bemüht. Sind die Verletzungen, die er erlitten hat, nicht Beweis genug für dich?«
Madeline hob ihre Hand, als wollte sie einen Angriff abwehren. »Mein liebes Kind, ich brauchte nie einen Beweis! «
Nein, das brauchte sie nicht. Verlegen wandte Ivy sich ab. Ihre Meinung von Samt hatte sich grundlegend gewandelt, wie auch ihre Gefühle für ihn. Erst hatte sie ihm misstraut, kurz darauf riskierte sie ihr Leben, um ihn zu retten. Wie konnte das so schnell geschehen? Es war mehr als eine harmlose Verliebtheit. Bei einer mädchenhaften Schwärmerei kam eine solche Loyalität nicht vor.
»Bist du in ihn verliebt?«, fragte ihre Mutter, und es traf Ivy wie ein Fausthieb in den geschundenen Bauch.
»Bist du es?«, konterte sie. Plötzlich war sie verärgert. Ihre Mutter sollte es wahrlich besser wissen, sie das zu fragen!
Madeline lachte, als wäre dieser Gedanke vollkommen abwegig. »Guter Gott, Kind, nein! «
In diesem Moment hätte Ivy sich lieber die Zunge durchgebissen als einzugestehen, dass sie Gefühle für Saint hegte. Ihre Mutter würde sich über sie lustig machen oder, schlimmer noch, sie bemitleiden.
Millies Ankunft ersparte ihr eine Fortsetzung der Unterhaltung. Noch nie war Ivy erleichterter gewesen, ihre frühere Gouvernante zu sehen. Dennoch ging ihr die Frage ihrer Mutter nicht aus dem Kopf.
In Saint verliebt? Ausgeschlossen! Unsinn! Was sie für ihn empfand, fühlte sich nicht an wie das, was sie sich unter der Illusion von Liebe vorstellte. Und doch hatte sie bereits gestanden, dass sie ihr Leben für ihn geben, dass sie alles tun würde, um ihn zu schützen und bei sich zu behalten.
Tatsächlich ähnelte es verdächtig der furchtbaren Besessenheit, die ihre Mutter einst für ihren Vater gehegt hatte. Würde Ivy in genauso tiefe Verzweiflung stürzen wie ihre Mutter damals, wenn Samt fortging? Oder würde sie ihn anflehen, sie mitzunehmen?
Dieser Gedanke machte sie ganz krank. Zum Glück überdauerte das Gefühl in Anwesenheit der munteren Millie nicht lange.
»Wie geht es euch zweien?«, fragte Millie, die beide Frauen auf die Wange küsste.
»Den Umständen entsprechend gut«, antwortete Ivy lächelnd. »Auf jeden
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