Salon der Lüste - 3
würde. Justin, der mit keinem Wort ihr Herz oder ihre Liebe beanspruchte, der überhaupt nie um etwas bat.
Und dennoch war es nicht Justin, zu dem sie nun am liebsten laufen würde. Und erst recht war es nicht Justin, den sie für den Rest ihres Lebens neben sich haben wollte.
Nein, das war ganz und gar nicht Justin.
Als Saint später am selben Tag aufwachte, stieg er aus dem Bett, kleidete sich an und verließ das Maison Rouge durch den Tunneleingang. Er tat es aus einem einfachen Grund: Ivy sollte nicht wissen, dass er ausgegangen war, denn sie würde sich sofort Sorgen machen.
Morgens hatte er sich irgendwo zwischen Badewanne und Bett geschworen, dass er alles daransetzen würde, Ivys Herz zu gewinnen. Zum Teufel mit früheren Schwüren!
Liebe war das Einzige, was die Unsterblichkeit erträglich machte. Allerdings müsste er Ivy zunächst einmal überzeugen, dass die Liebe nicht der schreckliche Zustand war, für den sie sie hielt.
Und es bedeutete, dass er sich verwundbarer machte, als er es seit über zwanzig Jahren gewesen war.
Verwundbarkeit wiederum konnte er sich nicht erlauben, bevor nicht der verdammte Mörder gefunden war.
Deshalb schlich er sich bei Sonnenaufgang wie ein Feigling aus dem Haus und lief durch die Tunnel unter der Stadt, bis er eine gute Stelle fand, um aufsteigen zu können, die nur wenige Straßen von seinem Ziel entfernt war.
Neue Dunkelheit lag über der Stadt; jenes Blaugrau, das noch nicht dunkel genug schien, um die Straßenlaternen anzuzünden, im nächsten Moment aber stockduster wirkte.
In dieser Gegend hielten sich die Leute gern draußen auf, hockten auf den Treppen oder standen auf der Straße und plauderten. Zwei Frauen unterhielten sich, teilten sich eine Zigarette und keiften zwischendurch ihre Kinder an, sie sollten von der Fahrbahn verschwinden. Ein junges Paar, das offensichtlich nicht hergehörte, eilte an Saint vorbei zu einer wartenden Kutsche. Zweifellos wollten sie die Gegend vor Einbruch der Nacht verlassen haben.
Saint hingegen fühlte sich herrlich lebendig, sobald die Sonne fort war. Die Wunden von heute Morgen waren verheilt, nur ein paar rosa Narben von dem Netz waren geblieben. Auf seiner Stirn und der Wange waren sie zart und nicht besonders auffällig. Weit schlimmer hatte es dagegen seine Hände erwischt. Aber wenigstens konnte er die Finger wieder richtig bewegen, und bis zum nächsten Abend würden sie noch weiter abgeheilt sein. Bis die Narben blasser würden, dauerte es gewiss noch Jahre, und ganz verschwinden würden sie nie, wie er von dem Kreuz auf seinem Rücken wusste.
Wie gut, dass persönliche Eitelkeit noch nie zu seinen Lastern gezählt hatte!
George hatte ihm den Weg zu dem leeren Lagerhaus beschrieben, in dem sie ihren Gefangenen untergebracht hatten. Doch auch ohne Beschreibung hätte Saint es gefunden, denn er roch das Blut des Mannes von der Straße aus - ebenso wie seine Wut und Angst.
Eines Tages würde er auch den Geruch des Mannes aufspüren, der Ivy geschlagen hatte, und dann setzte er der Existenz dieses Schurken ein Ende. Aber vorerst musste er sich hiermit zufriedengeben.
Er betrat das Lagerhaus durch die Hintertür. Drinnen warteten George und die anderen in einem großen Raum, der bis auf das Licht der Straßenlaterne, das durch das Fenster hereinfiel, vollkommen dunkel war. Der gelbliche Schein warf einen Streifen auf den schmutzigen Boden, der bis zu dem Mann reichte. Sie hatten ihn in der Raummitte an einen wackligen Stuhl gefesselt. Sein Oberschenkel war mit weißem Leinen verbunden, und Blut sickerte durch den Stoff.
Saint sah zu George.
»Wir haben die Kugel herausgeholt«, erklärte der bullige Mann, »und die Wunde gereinigt. Er wird’s überleben wenn du willst.«
Diese Bemerkung verfehlte ihre Wirkung auf den Gefangenen nicht, der geschrien hätte, wäre kein Knebel in seinem Mund gewesen.
»Hat er irgendetwas gesagt?«, wollte Saint wissen, der den Mann aufmerksam beobachtete.
George schüttelte den Kopf. »Nein, wir hatten ihn die ganze Zeit geknebelt.«
»Gut.« Saint stellte sich vor den Gefangenen und riss ihm den Lumpen aus dem Mund.
»Wie heißt du?«
Der Mann spuckte ihm auf die Füße.
Mit einem leisen Lachen beugte Saint sich vor und schnippte ihm mit dem Finger gegen die Stirn. Bei den meisten Leuten wäre es eine harmlose Geste gewesen, doch der Kopf des Mannes schnellte unter der Wucht zurück und knallte gegen die Stuhllehne.
»Jetzt siehst du Sterne, was?«, fragte Saint mit
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