Salve Papa
einem weißen Hasen mit roten Augen – dem dritten weißen Hasen, den ich in meinem kurzen Leben vom Weihnachtsmann bekommen hatte. Alle tausend Kinder hatten die gleichen Hasen bekommen. Anscheinend hatte der Weihnachtsmann direkt unter dem Lenin-Mausoleum eine riesige unterirdische Fabrik zur Produktion von weißen Hasen angelegt. Mir wurde schlecht bei der Vorstellung, wie viele da unten noch lagen.
Ich war ein intelligentes, etwas verträumtes Kind, das in seiner Phantasie viele mutige Heldentaten vollbrachte, aber in der Realität still und zurückhaltend blieb. Natürlich hatte ich große Lust, den weißen Hasen dem Kremlweihnachtsmann in seinen fetten Kremlweihnachtsarsch zu schieben. Bloß was hätte das gebracht? Der Kremlweihnachtsmann hätte den Hasen mit Sicherheit ein Jahr später wieder herausgezogen und dem nächsten Kind geschenkt. Diese Erfahrung hat mich endgültig davon überzeugt, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Er wurde von Erwachsenen erfunden, damit sie den Scheiß, den sie selbst nicht brauchen, leichten Herzens weiterverschenken konnten. Sie werden dafür nie zur Verantwortung gezogen, denn die trägt ganz allein wer? Natürlich der Weihnachtsmann, der Weichensteller der Kinderfeste.
Wir verschenken an andere nur Dinge, die wir auch selbst mögen. Diese guten, wertvollen Geschenke lagern wir unter unserem fertig geschmückten Baum, machen das Licht aus, schließen die Türen und fahren für ein paar Tage weg, frische Luft holen, raus aus der menschenleeren langweiligen Weihnachtsstadt, weg von Enten, Gänsen und Menschen, die ihre Gemütlichkeit trainieren. Am letzten Tag des Jahres kommen wir zurück, stellen die chinesische Artillerie auf die Straße und zeigen unseren Nachbarn die Inszenierung »Die Eroberung Berlins 1945 durch den Einsatz von Katjuschas«. Dauer der Inszenierung: 13,5 Minuten. Reaktionen: bis jetzt fast ausschließlich positiv. Manche vergessen sogar ihre Kinderknaller anzuzünden. Sie wirken einfach zu lächerlich neben der »Eroberung Berlins«.
Danach trinken wir die Alkoholreserven, tanzen, singen bei Kerzenlicht das Lied aus dem alten sowjetischen Spionagethriller »Siebzehn Augenblicke im Frühling«, das jedes Jahr länger wird, und schon steht der 3. Januar auf dem Kalenderblatt. Der Baum steht noch zehn Tage neben dem Buchregal, und das Katzenklo glitzert und blinkt noch lange im elektrischen Licht, weil die Katzen das aufgefressene Lametta wieder auskacken.
Berliner Arche Noah
Viele Leute können den Winter in Berlin nicht ausstehen. Sie sagen, der Dezember wäre ja noch zu ertragen – wegen der leuchtenden Weihnachtsmärkte und des Glühweingeruchs, der sich über die Stadt legt. Im Februar verleiht das Filmfestival der Stadt ein bisschen Glamour. Aber der Januar, der geht nun wirklich gar nicht. Im Januar ist Berlin nur noch kalt und grau, die Temperaturen fallen ins Bodenlose.
Bei minus drei Grad haben wir die beiden Meerschweinchen, die in einem Holzhäuschen auf dem Hof leben, in die Wohnung genommen und bei uns im Bad einquartiert, damit sie nicht frieren. Als Dankeschön trällerten sie ununterbrochen ihre Meerschweinchen-Schlager, die ganze Hitparade rauf und runter. Die zwei Kaninchen waren erst einmal noch draußen geblieben. In der Gebrauchsanweisung für Kaninchen stand, sie wären eigentlich frostfrei und würden die Kälte mögen. Doch bei minus zehn Grad sahen die Kaninchen nicht wirklich glücklich aus. Sie bewegten sich gar nicht mehr, gruben keine Erdlöcher und lagen nur auf dem Hof herum wie zwei große zottige Kugeln.
Ich schrieb einen Rundbrief an alle Hausbewohner und platzierte ihn auf der Haus-Seite im Internet.
»Genossen«, schrieb ich, »wer hat noch Platz für zwei Kaninchen, die aus der Kälte kommen?«
Man muss dazu sagen, dass wir in einem fortschrittlichen Haus wohnen. Unsere Nachbarn sind in der Mehrheit aufgeschlossene, moderne Menschen und zum Beispiel freiberufliche Internetdesigner oder Mitarbeiter sozialer Einrichtungen. Sie rauchen nicht, sie gehen joggen, und sie kaufen im Bioladen ein. Manche von ihnen sind sogar in der Bürgerinitiative »Für die Vollpflanzung des Mauerparks« aktiv. Wir haben ein Forum im Internet, in dem wir alle Probleme unseres Hauses offen ausdiskutieren. Letztes Jahr haben wir natürlich dem Hausmeister und der gesamten Verwaltung gekündigt, um eine Selbstverwaltung auf freiwilliger Basis aufzubauen. Sie funktioniert leider nicht so gut. Es hakt bei der Arbeitsverteilung.
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