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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoite Groult
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Sangria-Aperitif im Café du Port hinter sich bringen und warten, bis das berühmte Tanzorchester Daniel Fabrice aus Melgven eintraf. Aber meine Stunde würde jetzt sehr bald schlagen, dessen war ich mir vollkommen gewiß. Der Tanzsaal war ungemütlich kahl und brutal beleuchtet; in einem Spiegel sah ich, daß ich seit dem Vormittag nicht unbedingt schöner geworden war. Zumal jetzt neue, unverbrauchte Gäste eintrafen, darunter auch ein paar Sommerfrischler, die ich kannte, und die das Ganze als eine Art Zoobesuch betrachteten. Wie selbstverständlich wurde ich von ihrem Kreis aufgesogen. Ich warf Gauvain verzweifelte Blicke zu, aber es gelang mir nicht mehr, seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken; ich existierte überhaupt nicht für ihn. Ich setzte einige alterprobte Mittel ein, magnetisierte ihn mit durchdringenden Blicken in seinen Nacken, machte mich so leuchtend wie ein Glühwürmchen, jedesmal wenn ich in seinem Blickfeld war, lehnte ostentativ die schmalzigsten Tangos mit meinen Freunden ab und schlich wie eine arme Seele durch den Ballsaal… Keiner meiner Tricks funktionierte, und bei allen meinen Lieblingstänzen nahm Gauvain Marie-Josée in die Arme.
    Nun denn! Es blieb mir nichts anderes übrig, als in die Gruppe, zu der ich schließlich gehörte, zurückzukehren und diesen schönen Rüpel zu vergessen. Ich hatte nichts mehr zu erhoffen hier, dieser Ball war das Letzte, meine Chancen waren versaut, und das war auch besser so. Was hätte ich mit Gauvain danach gemacht? Ich hätte ihm ja doch nur übel mitgespielt. Dieser edle Gedanke war Balsam für meinen gekränkten Stolz.
    »Bleiben Sie nicht mehr bis zur Zwiebelsuppe?« fragte Yvonnes Vater erstaunt, als ich mich verabschiedete. Bloß nicht! Ich wollte Gauvain und seine Leibwächterin nicht mehr sehen. Ich fühlte mich plötzlich sehr müde, tausend Meilen von dieser Lozerech-Sippe entfernt. Yvonne habe ich schnell noch umarmt, bevor ich mich mit meiner Truppe aus dem Staub machte. »Du hättest doch nur eine schöne Erinnerung zerstört«, sagte Frédérique sehr vernünftig. Ihre Äußerung hat meinen Ärger nur verstärkt. Was sollte ich denn anfangen mit schönen Erinnerungen im Einmachglas? Ich hasse die schönen Erinnerungen. Ich liebe nur die schönen Zukunftsaussichten. Ich war bereits im Garten des Hotels angelangt, kletterte über die betrunkenen Wracks am Wegrand, die sich teilweise noch bewegten und Bruchstücke von Liedern brabbelten oder einen Arm gen Himmel reckten, um eine endgültige Weisheit zu verkünden, als ich plötzlich eine Hand auf meiner Schulter spürte, die mich zusammenschrecken ließ.
    »Ich muß dich sehen!« flüsterte Gauvain eindringlich. »Warte auf mich heute nacht am Dock, ich komme, sobald ich kann. Vor ein Uhr ganz bestimmt.«
    Es war keine Frage gewesen. Er wartete auch gar nicht erst auf die Antwort. Ein paar Freunde riefen nach ihm, und Frédérique wurde ungeduldig im Auto. Aber ich habe mir Zeit genommen. Ich habe seinen Satz in mir hinuntergleiten lassen, ich habe tief durchgeatmet, und eine Welle von Glück hat mich überflutet, hat mich erfüllt mit Jubel und flammender Entschlossenheit. Nach den Tabakdämpfen des Ballsaals brachte der Westwind schubweise den intensiven Geruch des Tangs, einen Geruch nach Sex. Ich bin nach Hause gegangen, des Alibis wegen. Und auch um vorsorglich meinen Dufflecoat mitzunehmen, denn ich konnte mir vorstellen, daß er ein guter Schutz wäre gegen die Unebenheiten des Bodens, sobald Gauvain seine achtzig Kilo über mir ausbreiten würde. Und das Gedicht, das ich zwei Jahre zuvor für ihn geschrieben hatte und das in einer Schublade ruhte, steckte ich in die Tasche, man kann ja nie wissen. Bevor ich ging, zeigte ich es meiner Schwester, die die Nase rümpfte. »Sehr jungmädchenhaft«, sagte sie. Ich fand es schön! Wird man nicht immer wieder zum jungen Mädchen, wenn man losläuft, den Armen eines Mannes entgegen?
    An jenem Abend konnte man den Mond nicht sehen. Die Insel von Raguenès lag wie eine tiefschwarze Masse auf dem fast schwarzen Meer, und alles schien reglos, als läge es in der Erwartung eines Ereignisses. Eigentlich mußte ich diesen Eindruck korrigieren: Ich erwartete ein Ereignis. Für die Natur war es eine Sommernacht wie jede andere auch. Von der ersten Minute des Wartens an war ich in den genußreichen Prozeß der Lust eingetreten. Ich erlebte das Beste, was das Leben zu bieten hat, und war mir dessen bewußt. An jenem Abend wäre ich verrückt genug

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