Salz auf unserer Haut
eine Sondergenehmigung gebraucht wegen des fehlenden Zentimeters, und der Zentimeter fehlte vor allem am Hirn, sagten böse Zungen ‒, war für sie kein entscheidendes Hindernis: Das würde ihr seine langen Abwesenheiten um so leichter machen. Als das Schwierigste erwies sich, diese Hochzeit zu organisieren und ein passendes Datum zu finden. Man mußte abwarten, bis alle drei Fischer-Brüder gleichzeitig zu Hause waren, was selten vorkam, seitdem sie nicht mehr auf demselben Schiff fuhren; außerdem mußte der eine, der in Nantes Lehrer war, Ferien haben, und auch auf meine Ferien und den damit verbundenen Aufenthalt in Raguenès mußte Rücksicht genommen werden. Zumal die Lozerechs ihrer einzigen Tochter eine wirklich schöne Hochzeit bieten wollten, mit drei Brautjungfern im mandelgrünen Organzakleid und mit Gästen, die aus dem ganzen Süden der Bretagne mit dem Bus herbeigekarrt würden. Und eine wirklich schöne Hochzeit sollte es auch für uns, für Gauvain und mich, werden, denn es schien vom Schicksal vorgesehen, daß Familienfeste und Feierlichkeiten in erster Linie zu unserem Verderben stattfanden!
Um neun Uhr früh bereits saß ich an seiner Seite beim ersten Glas Muscadet, und den ganzen Tag und einen Teil der Nacht und auch den nächsten Tag noch sollte unser gemeinsames Abenteuer dauern. Gauvain war nicht wiederzuerkennen in seinem Sonntagsstaat, mit seinen pomadegebändigten Haaren: Er hatte Ähnlichkeit mit einem Tanzbär und trug ein Gesicht zur Schau, das nichts Gutes verhieß. Ich hatte ein hellbeiges Kostüm aus Tussahseide an, das alles andere als provinziell wirkte, Schuhe mit Riemchen um die Fesseln, was meine (von der Natur sowieso freundlich bedachten) Beine vorteilhaft zur Wirkung brachte, und dazu kam jene ruhige, überlegene Ausstrahlung, die das Privileg von Menschen ist, die sich niemals wünschen mußten, anderswo zur Welt gekommen zu sein als in der weichen Wiege, die das Schicksal ihnen zugeteilt hat.
An jenem Morgen stellte ich alles dar, was er haßte, aber bei mir bewirkte das nichts anderes als den plötzlichen Wunsch, seinen Panzer aufzubrechen, auf daß der verletzbare Kern, den ich in ihm ahnte, mir ausgeliefert sei. Die Inselepisode lag tief in meinem Gedächtnis verborgen, hinter einer Tür, die ich, kaum war eine Landschaft des Lichts ahnbar geworden, allzuschnell wieder zugeschlagen hatte. Diese Ergriffenheit, die ich noch immer spürte ‒ hatte ich sie nur geträumt? Hatte auch Gauvain sie empfunden? Ich wollte nicht den Rest meines Lebens damit verbringen, mir an sehnsuchtserfüllten Abenden diese Frage zu stellen. Ich würde Gauvain zum Bekenntnis zwingen, heute oder nie.
In der Kirche konnte ich nichts unternehmen, auch während der ewig langen Inszenierung des Hochzeitsphotos nicht, auf dem Platz vor der winzigen Kapelle von Saint-Philibert, dem Geburtsort des Marinebürschchens. Ein unangenehmer Südwestwind ließ die Bänder der Trachtenhauben flattern und bauschte die großen Halskrausen auf, die die Brautmütter und eine allerletzte Schwadron von Unbeugsamen trugen. Dann peitschte uns ein heftiger Regenschauer, und meine gekonnt natürlichen Löckchen klebten traurig an meinen Wangen.
Endlich beschloß der Photograph, sein schwarzes Tuch und sein kompliziertes Stativ zusammenzupacken, und damit gab er das Zeichen zum stürmischen Aufbruch: In der Dorfkneipe sollte es mit Aperitif und Tanz weitergehen. Aber auch dort mischten sich die Männer nicht unter die Frauen, sondern bildeten Trauben um die Theke, die jüngeren um die Spielautomaten. Es wurde zwei Uhr nachmittags, bis ich endlich im Festsaal neben einem schon ziemlich alkoholisierten Gauvain saß. Der Unschuldsknabe schickte sich an, sich durch die unumgängliche Reihenfolge ‒ Muscadet, Bordeaux, Champagner und Schnaps ‒ hindurchzukämpfen; er wußte nicht, daß ich meine Strategie auch auf die wahrheitsfördernden Begleitgetränke des rituellen Hochzeitsmahls aufgebaut hatte. Noch immer hat sich Trunkenheit mit Schwäche verbündet. Wir waren noch nicht einmal bei der unvermeidlichen Ochsenzunge in Madeirasauce angelangt, die den Übergang vom Weißwein zum Rotwein signalisiert, da stellte ich bei mir eine erhöhte Anfälligkeit für Gauvains allzu nahen Körper fest. »Weiß auf Rot, alles im Lot, Rot auf Weiß, alles aus dem Gleis«, pflegte mein Vater zu sagen. Gauvain jedoch schien mich nicht zu beachten, was ich wiederum auf die Anwesenheit seiner Verlobten zurückführte, die brav zu seiner
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