Salz auf unserer Haut
Urteils unfähig machte, selbst dann, wenn er mich zwischen zwei Physikreferaten auf der marokkanischen Decke in seiner Studentenbude ‒ fließend Wasser auf der Treppe ‒ in fünf Stößen absolvierte, wobei die vorangehenden KitzelStreichel-Knutschaktionen, die als Starthilfe gedacht waren, auch nicht langatmiger ausfielen. Ich muß unwillkürlich jedesmal daran denken, wenn ich einen Geiger sehe, der mit der Mittelfingerspitze eine Saite seines Instrumentes zum Vibrieren bringt und sie wieder losläßt, wenn die gewünschte Wirkung erzielt oder vermeintlich erzielt wurde. Während der Penetration machte er sich freundlicherweise die Mühe, ein paar »Ich liebe dich« zu gurgeln, und ich antwortete mit »Ich liebe dich«, um mir Mut zu machen und um diese Viertelstunde, der ich jedesmal hoffnungsfroh entgegenfieberte und aus der ich erkennbar ohne die bei ihm eintretende Erleichterung wieder hervorging, mit ein wenig Seele anzureichern. Da er mir aber keinerlei Fragen stellte und »es« in regelmäßigen Abständen mit mir wiederholte, war ich anscheinend »in Ordnung«, und das war sie wohl, »die körperliche Liebe«, wie ich sie damals nannte. Ich mochte das Vorher lieber, er das Nachher. Vielleicht lag darin der berühmte Unterschied der Geschlechter.
Ich erinnere mich nicht, ob Gauvain damals schon ein so guter Streichler war, wie er es später wurde. In seinen Kreisen wurde damals nicht viel gestreichelt. Und damals ließ ich mich auch nicht leicht streicheln. Ich fand Roger ganz normal. Man kann doch Männer nicht langweilen mit Äußerungen wie »Nein, ein bißchen höher«, oder »Aua, das ist zu heftig…«, oder gar »Noch ein bißchen mehr, bitte«. Denn wenn man ihnen mit solchen Forderungen auf den Wecker geht, wirkt man unersättlich, und dann gehen sie anderswohin, zu allzeit zufriedenen Mädchen, die ihren Zauberstab anbeten und ihr heiliges Salböl mit den wonneerfüllten Gesichtern von Erstkommunikantinnen trinken. Zumindest wurde dies in meinen Kreisen behauptet, und wie sollte ich das nachprüfen? Ehrlichkeit war damals nicht üblich dem männlichen Geschlecht gegenüber. Sie sprachen ja nicht die gleiche Sprache wie wir. Man gehörte zu seinem Geschlecht, wie man zu seiner Heimatgegend gehörte.
In jener Nacht fielen zum erstenmal diese Schranken, als ob sich unsere Körper schon immer gekannt hätten, und wir tasteten uns voran im Takt der gleichen Lust, bis all unsere Unterschiede sich verwischten, als ob wir aufeinander gewartet hätten, um uns zu lieben und uns ineinander aufzulösen, ohne Ende, denn die Lust an der Lust erschöpft sich nicht durch die Befriedigung der Lust, und in der Tiefe der gerade verklingenden spürten wir schon die ersten Schwingungen der zukünftigen Lust. Wir erlebten eine jener Nächte ohne Dauer, wie sie einem nur ganz selten im Leben widerfahren. Die steigende Flut war es, die uns wieder auf den Boden der Realität zurückbrachte: Gauvain hat plötzlich das Geräusch der näher kommenden Wellen gehört. Dieser Mann wußte immer, wie es mit dem Meer stand. »Wenn wir nicht auf der Stelle abhauen, müssen wir zurückschwimmen«, verkündete er und tastete hektisch nach unseren am Boden verstreuten Kleidern. Mein Büstenhalter hatte sich in Luft aufgelöst, und ich gab es auf, ihn zu suchen. Schließlich stand ja nicht mein Name drauf. Gauvain gelang es nicht, die feuchten Knöpfe in die im Regen geschrumpften Knopflöcher hineinzuzerren, und ich hörte ihn im Dunkeln fluchen. Schließlich hatten wir uns notdürftig wieder in unsere Sachen eingenestelt ‒ ich mit meiner idiotischen Handtasche am Arm, als käme ich gerade aus einem Café, mein großer bretonischer Fischertölpel mit der Hose um den Hals gebunden, vom Regen durfte sie naß werden, nicht vom Meer ‒, und wir liefen los zum Sandsteg, wo bereits eine starke Strömung auflief. Wir hatten Mühe, unsere Lachausbrüche zu beherrschen, und wir stolperten in den Pfützen. Wir hielten uns fest an der Hand, um nicht fortgerissen zu werden, und es gelang uns im letzten Augenblick, den Priel zu durchqueren, das Wasser ging uns bis zu den Hüften. Aber gab es eine schönere Art, sich nach der Liebe zu waschen? Als wir zu dem alten Renault gelangten, kam er uns unglaublich komfortabel und trocken vor, und wir stiegen mit viel Mühe wieder in unsere triefenden Kleider. Im Dorf parkte Gauvain sein Auto im Hof und begleitete mich zu Fuß bis an die Haustür. Die Straße roch nach warmem Stall, und man hörte
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