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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoite Groult
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das Vieh sich im Stroh bewegen. Auch wir sehnten uns nach der Wärme eines Stalls, aber wir mußten nach Hause, jeder für sich zurück in sein Leben. Es war plötzlich kalt, und wir haben uns ein letztes Mal in die Wärme unserer Lippen gerettet.
    »Ich hab' etwas für dich«, flüsterte ich und kramte aus meiner feuchten Handtasche das Gedicht. »Ich weiß, daß du mich lächerlich finden wirst… aber ich habe es damals nach dem Abend geschrieben… du weißt schon, vor zwei Jahren…«
    »Also du auch?« fragte Gauvain mit seiner Nachtstimme. »Ich hatte gedacht…«
»Du hast mir doch nie wieder ein Zeichen gegeben!«
»Mir schien, es wäre für uns beide besser. Aber heute abend war es dann doch stärker als ich, und ich bereue es auch irgendwie. Im Grunde bin ich ein Schuft.«
»Warum? Weil du verlobt bist?«
Er hob die Schultern. »Ich habe mich verlobt, um mich gegen dich zu wehren… gegen die falschen Vorstellungen, die ich mir hätte machen können. Zwischen uns beiden war die Sache von vornherein faul und zum Scheitern verurteilt, darüber habe ich mir nie Illusionen gemacht. Und heute abend hätte ich dich nicht dahin schleppen sollen, das war Quatsch. Verzeih mir.«
Seinen dicht gelockten Kopf ließ er auf meine Schulter fallen. Er atmete heftig. Ich hätte ihm gerne erklärt, daß der einzige, unverzeihliche Quatsch gewesen wäre, einem jener Augenblicke zu widerstehen, die uns das Leben so knausrig beschert, das spürte ich damals schon. Aber er hätte es nicht verstanden. Sein Denksystem funktionierte anders. Und außerdem regnete es immer stärker, mein Dufflecoat roch nach nassem Hund, der Schlamm sickerte durch unsere Schuhe, und wir erschauerten vor Kälte und Schwermut. Gauvain auch vor Wut. Er hatte sich zur Gefühlsduselei hinreißen lassen, das paßte nicht in sein Lebenskonzept. Ich spürte, wie er innerlich steif wurde, nun hatte er es eilig, seine Gewißheiten, seine wohlgeordnete Welt wiederzufinden.
»Ich verzeih' dir«, habe ich zu ihm gesagt, »wenn du mir schwörst, daß wir uns wiedersehen, bevor du im Winter mit deiner Schule anfängst. Einmal, ein richtiges Mal, in einem richtigen Bett… ohne Angst vor der Flut. Ich möchte dich besser kennenlernen, bevor ich dich vergesse.«
Gauvain hat mich stärker an sich gepreßt. Mich vergessen, das konnte er schon nicht mehr. »Geh, Karedig«, flüsterte er, »in der Sprache von Paris könnte ich es dir nicht sagen. Und ich wage es auch nur, weil es so dunkel ist… Ich kann dir nichts versprechen… Ich weiß es nicht. Aber du mußt wissen…«
Es gelang ihm nicht, den Satz zu Ende zu führen. Ich wußte es ja, daß er Fischer und Seemann und verlobt war, daß er voller Moralempfinden und Komplexe steckte und fest entschlossen war, »ein anständiger Mensch« zu bleiben, wie er das nannte. Ich aber wollte unvergeßlich für ihn bleiben, auch wenn ich ihm damit seine Ehe vermieste, ich hatte die naive Grausamkeit der jungen Mädchen, die nicht einen Augenblick daran zweifeln, daß die raffinierte Freude, im geliebten Mann eine unheilbare Sehnsucht zurückzulassen, besser ist als der fade Trost, ihn in den Armen einer anderen in Frieden zu wissen.
»Kenavo… A Wechall«, fügte er noch leiser hinzu. Dann löste er sich von mir. »Und was Paris angeht, ich werd' sehen, was ich tun kann«, sagte er mit jenem bretonischen Akzent, der die Wörter verkürzt und dessen Herbheit ich mochte. Und er hob die rechte Hand, als wollte er sagen: ich schwör' es ‒, so lange, bis ich die niedrige Haustür hinter mir verschlossen hatte.

III PARIS
    Die großen Augenblicke des Lebens, Geburten, Krankheit, Tod, haben die Gabe, einen zur äußersten Banalität zurückzuführen und einem jene stehenden Redensarten in den Mund zu legen, die aus der Volksweisheit entstanden sind und besser als jede intellektuelle Sprache die Emotion in Worte fassen. Seit Gauvain sein Versprechen gehalten hat und für ein paar Tage nach Paris gekommen ist, kann ich nicht mehr schlucken und nicht mehr schlafen. Mir hat es buchstäblich Kehle und Magen zugeschnürt, mir ist schwer ums Herz, und meine Knie sind weich ‒ als ob die Geschlechtsfunktion alle anderen mit Beschlag belegt hätte. Und außerdem habe ich Feuer zwischen den Beinen, ein Ausdruck, der mir angemessen erscheint, auch wenn ich ihn gerade selbst geprägt habe. Ich werde drei Tage lang mit diesem schrecklichen Nachglimmen in mir herumgehen und Gauvains Brandmarke tragen müssen, wie die O ihren Ring. »Weißt

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