Salz auf unserer Haut
eins: Unbedingt vermeiden, daß man während des Wettkampfs seine Tage bekommt. Also werde ich sechs Wochen lang ununterbrochen die Pille nehmen. Danke schön, Dr. Pinkus. Grundsatz Nummer zwei: Den ersten Auftritt besonders gut vorbereiten, von ihm hängt alles weitere ab. Zumal mein Allgemeinzustand leider zu wünschen übrigließ: In diesem gnadenlosen Land, wo der Winter sich frühe Übergriffe in den Herbst leistet, bevor er dann den Frühling warten läßt, hatte ich mir eine Bronchitis mit Schnupfen eingefangen, die mich vorzeitig in eine über Fünfzigjährige verwandelte. Dem wollte ich mit einer flotten Kringelfrisur entgegenwirken, schön gewellt, wie Gauvain es mag, der nicht die gleiche Vorstellung von Eleganz hat wie die Redakteurinnen von Harper's Bazaar. Aber meine durch die allzu trockene Luft und die in diesem Land übermäßige Beheizung statisch geladenen Haare haben den Elektroschock des kanadischen Haarkünstlers nicht gut ertragen. Hierzulande, wie übrigens auch in Amerika, haben die Friseursalons mehr mit einem vollautomatischen Waschsalon zu tun ‒ Waschen, Schleudern, Trocknen in achtzehn Minuten! ‒ als mit den sinnlich-kuscheligen Kojen der französischen Schönheitsinstitute. Die Haarwaschbecken haben die Form einer umgedrehten Guillotine und sägen einem den Nacken ab, mit einem steifen Plastikkragen anstelle eines kuschelweichen Frotteetuchs um den Hals wird die Kundin erwürgt, und die Mädchen striegeln einen wie Pferdeknechte, ehe sie einen dann dem Künstler aussetzen, der durchaus inspiriert sein mag, allerdings nicht durch Ihren Kopf, sofern Sie die Vierzig überschritten haben! Meine Strieglerin, die ich mir eher in der Diskuswerfermannschaft der DDR vorstellen konnte als hier, erklärte mir schonungslos, sie hätte noch nie gesehen, daß jemand so viele Haare verliert, und dabei riß sie mir ganz nebenbei ein paar weitere Büschel aus. »Das mag am Herbst liegen… die Müdigkeit«, versuchte ich zu erklären.
»Trotzdem«, unterbrach sie mich, »dieser Ausfall hier ist nicht normal.«
Beim Wort »Ausfall« erstand vor mir sofort das Gespenst drohender Kahlheit, was das definitive Ende meiner Karriere als Liebhaberin bedeuten würde, denn das Tragen einer Perücke war nicht mit der Bettgymnastik ‒ so nannte es die Anstandsdame ‒ in Einklang zu bringen. Demzufolge ließ ich in aller Demut das Auftragen eines mexikanischen Kopfhautelixiers über mich ergehen, das nach Desinfektionsmittel fürs WC roch, aber das merkte ich zu spät. Mein Haar hing stumpf und traurig herunter, trotz des heftigen brushing von Mario (oder hieß er Emilio?). Obwohl ich es eilig hatte ‒ Gauvains Maschine würde in zwei Stunden landen ‒, wagte ich nicht, eine Brenneisenaktion in Verbindung mit einem Toupieraufbau abzuschlagen, auch wenn das in Frankreich schon lange nicht mehr gemacht wurde; danach folgte eine volle Ladung Spray, und mein Haupt roch nach Billigdeodorant fürs Taxi. All diese Vorkehrungen seien unerläßlich, so erklärte man mir, um meinem Haar »ein wenig Fülle und Volumen« zu verleihen. Mitleidige Blicke von Mario (oder hieß er Emilio?) auf die bedürftigen Stellen. Mit zwanzig hätte ich die Haartracht einer Tahitianerin besessen, sie habe mir bis zur Taille gereicht, versuchte ich glaubhaft zu machen, um mein Image aufzumöbeln, aber es war ihnen schnurzpiepegal, und sowieso glaubten sie mir kein Wort. Ich habe häufig bemerkt, daß einem die andern nie abnehmen, daß man auch einmal jung gewesen ist. Sie glauben's nicht wirklich. Sie tun so, aus Höflichkeit. Mit ziemlicher Verspätung entfloh ich dem Haartempel, aber dafür besaß ich den prachtvollen Kopf einer siebenundvierzigjährigen Puppe. Zum Glück wird Gauvain nur die Puppe sehen, nicht die siebenundvierzig Jahre. Und mit ein wenig Glück werden seine Augen nachgelassen haben. Außerdem schwimmen ihm die Puppen bei dreißig Grad südlicher Breite nicht gerade jeden Tag in die Quere. Im Taxi lache ich vor mich hin beim Gedanken, daß ich in weniger als einer Stunde meinen Kormoran auftauchen und seine Flügel für die schönste Frau der Welt ausbreiten sehe. Auf einen Liebhaber zu warten ist für den Teint viel gesünder, als einen Ehemann zu erwarten, und mit jeder Radumdrehung des Taxis fühle ich mich noch ein bißchen schöner werden. Aber, ach! Zwei Stunden Verspätung beim Flug Paris-Montreal haben die prekäre Schönheit bald zunichte gemacht. In den unbarmherzigen Spiegeln des Flughafens erblicke ich
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