Salz auf unserer Haut
Coraline fest, nachdem sie die dreißigminütige Überfahrt in strömendem Regen hinter sich gebracht haben. Irgendwo, in irgendeiner Ecke dieser Landschaft regnet es immer, und trotzdem sind sie die ganze Zeit an Deck geblieben und haben sich von den Wellen besprühen lassen. Die Liebe macht offenbar kindisch. La Digue hat weder Hafen noch Dorf. Verstreute, niedrige Häuser, eine mit einem Ochsen betriebene Kopramühle, eine katholische Kirche und ein verwahrloster Friedhof, auf dem Tote mit französischen Namen liegen. Im Ochsenkarren fährt man zu den Bungalows von Grégoire's Lodge, der einzigen Herberge dieser Insel, die nur vier Autos, aber zweitausend Einwohner zählt. Man hört das Wasser durch die Blätter und Zweige tropfen, in den Zimmern sind die Laken feucht, das nächtliche Konzert der Frösche, Insekten und Vögel, das hin und wieder durch einen schrillen Schrei unterbrochen wird, kommt zum unaufhörlichen Rauschen der Palmen hinzu und macht jeglichen Schlaf unmöglich. Die Lehmstraßen sind zu dieser Jahreszeit reine Schlammlöcher, und die Wellen schieben Tonnen von Tang, dessen strenger Geruch an Raguenès erinnert, an den Strand. Aber auf der windstillen Küstenseite liegen inmitten von gigantischem rosa Granitgeröll dieser tropischen Bretagne Strände von unerträglichem Weiß zwischen den Kokospalmen verborgen, gesäumt von einer sanften, absinthfarbenen Lagune.
Die Abende sind paradiesisch, denn mit der Dämmerung legt sich der Wind. Es ist die wundervolle Stunde, die der nächtlichen Kakophonie vorangeht. Sie nippen an ihren »verbesserten Obstsäften«, wie Gauvain sagt, der die Gläser grundsätzlich mit Gin auffüllt, und beschwören ihre so nahen und so fernen Kindheiten herauf, reden von seinen Leuten, die in den Ferienwochen zu ihren Leuten werden. Dieselben Menschen, dieselben Landschaften für beide, aber es gelingt ihnen so selten, sie in Einklang zu bringen. Sie haben Fahrräder gemietet und fahren rund um die chaotische Insel, bis zur Anse Patate mit ihren erratischen Blöcken aus glattem Granit und der donnernden Brandung.
Am Abend wandern sie ein letztes Mal am leuchtenden Saum des Meeres entlang, setzen die nackte Haut dem fast flüssigen Wind aus, dann zieht es sie zu ihrem Bett, das nur ein paar Schritte vom Wasser entfernt steht, dem nächtlichen Rascheln und Fauchen ausgesetzt. Conan holt sie ab, um sie nach Mahé zurückzubringen. Die letzte Nacht werden sie in der Auberge Louis XVII verbringen. Dort wird die Wirtin zum tausendsten Mal das Märchen vom kleinen Capet, dem Sohn Ludwigs XVI., erzählen, der samt seinem Geschirr mit dem Bourbonenwappen ankam und hier unter dem Namen PierreLouis Poiret den Rest seiner Tage verbrachte.
Morgen werden sie auseinandergehen, und für sie bedeutet Auseinandergehen Sichverlieren, vielleicht für immer. Sie haben schon mehrere »für immer« hinter sich. Im illusorischen Wunsch, sich an ihm vollzutanken, will George heute abend alles von ihm verlangen, sich streicheln lassen bis zur Erschöpfung, notfalls mit allen erforderlichen Anweisungen. Im allgemeinen überläßt sie ihm lieber die Initiative, was die verschiedenen Etappen angeht… Wenn er der Meinung ist, daß sie ihre Ration Vorspiel bekommen hat und daß der Augenblick gekommen ist, im Repertoire weiterzugehen… ist es häufig ein wenig früh. Nicht gerade zu früh, aber doch so, daß sie sich auf sehr angenehme Art enttäuscht fühlt. Den Liebesrausch genießt sie mehr, wenn er mit einem winzigen Schuß Frustration verbunden ist. Die Vergänglichkeit der Liebkosungen macht ihre ganze Kostbarkeit aus. Und Gauvain rührt sie tief, wenn er das Warten nicht mehr aushält und sich auf seinen Knien hochreckt, das Gesicht fast schmerzhaft konzentriert ‒ jetzt ist schließlich er dran ‒, mit hochgezogenen Augenbrauen, wuterfüllten Augen, als wollte er den Annapurna besteigen; dann reißt er sie mit wilder Entschlossenheit an sich. Sie lieben sich im Sitzen, einander gegenüber, und sehen sich in die Augen bis an die Grenze des Unerträglichen. An jenem Abend braucht sie ihn nicht festzuhalten: Nach der Liebe deutet er mit keiner Geste an, daß er sich von ihr lösen will. Sanft ruht er an ihrem feuchten Schenkel aus, im zärtlichen Geruch ihrer Intimität, und diesmal verzichtet er darauf, schnell die Spuren der Lust wegzuwaschen. Sicherlich mißbilligt Marie-Josée derlei Ausschweifungen. Wenn die Stunde des Beischlafs vorüber ist, reinigt man sich, macht sich zurecht und
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