Salz auf unserer Haut
seiner endgültigen Formulierungen losgeworden ist.
»Schwätzer, lauter Schwätzer!« oder: »Ein Haufen von Idioten, das sage ich!«
Manchmal kommt auch »Eine Horde von Opportunisten und Schweinen«, je nachdem.
Wenn wir lediglich auf die Unterhaltung angewiesen sind, welkt unsere Intimität dahin. Es bleibt uns nur noch der Gesellschaftsklatsch: Yvonne ist Witwe geworden und hat ganz schön Mühe mit ihren Bengeln. Der zweite hat ein paar Dummheiten gemacht und sitzt hinter Schloß und Riegel. Mit seinen eigenen Kindern geht's ganz gut, zumindest mit den beiden ältesten, aber allmählich haben sie so viele Diplome, daß er gar nicht mehr weiß, was er mit ihnen reden soll. Ich wage es nicht, ihm zu gestehen, daß Loïc sich voller Verachtung geweigert hat zu studieren und daß er in einem grünen Linksgrüppchen aktiv ist, wo man gegen die Gewalt, aber auch gegen jegliche produktive Arbeit ist, um die Umwelt nicht zu verschmutzen und nicht dazu beizutragen, diese abscheuliche Konsum- und Verschwendungsgesellschaft zu bereichern. Schwer, Lozerech beizubringen ‒ wo er doch gerade erst in diese Sphären aufgestiegen ist ‒, daß unsere Zivilisation des Wohlstands zu verdammen sei. »Ach ja, und unser ehemaliger Nachbar Le Floch, du weißt schon, der Vater von dem Le Floch, der das Fischereiartikelgeschäft am Hafen in Concarneau betreibt, nun, der ist letzten Monat gestorben…«
»Das ist unser aller Schicksal, Karedig. Eines Tages…«
»Kannst du nicht ausnahmsweise mal was anderes sagen…«
»Aber es stimmt doch, George. Und der arme Le Floch, weißt du, im Grunde… Er hat nicht gelitten… Dagegen für die, die zurückbleiben… Er ist doch besser aufgehoben, wo er ist… oder?«
Keinen Gemeinplatz läßt er aus. Ich frage mich oft, warum wir uns unter so trostlosen Umständen weiterhin treffen. Aber bei jedem Urlaub ruft mich Gauvain an, um mir mitzuteilen, an welchem Tag er auf der Durchreise sein wird. Und ich sage jede Verabredung ab, um frei zu sein, als ob wir jenseits dieser dürren Begegnungen den Kontakt aufrechterhalten würden für eine unbekannte Zukunft, im Namen eines Geheimnisses, das wir in unseren Herzen tragen. In gewissen Stadien des Lebens denkt man, daß es auf die körperliche Liebe ankommt und sonst auf wenig. In anderen glaubt man eher an den Verstand, an die Arbeit, an den Erfolg. Die laue Selbstverständlichkeit meiner Verbindung mit Sydney nach acht oder neun Jahren des gemeinsamen Lebens und die Tatsache, daß die himmlische Erschütterung mit Gauvain mangels gemeinsamer Übungen neueren Datums allmählich in Vergessenheit geriet, verleiteten mich dazu, meinem Beruf den Vorrang einzuräumen, zumal mich meine neue Arbeit wirklich fesselte. Ich hatte sie angenommen, weil ich im Begriff war, in die gefährliche Meerenge der Vierzig einzulaufen, und weil die makabre Sturmglocke des »Jetzt oder Nie« allmählich in meinen Ohren läutete. Mit zwanzig Jahren wünscht man sich alles, und nichts spricht dagegen, auf alles zu hoffen. Mit dreißig glaubt man noch, daß man es erreichen wird. Mit vierzig ist es zu spät. Nicht daß man selber älter geworden wäre, nein, die Hoffnung in einem ist alt geworden. Nun werde ich nie mehr Ärztin werden und meinen Jungmädchentraum verwirklichen. Auch nicht Archäologin in Ägypten, meine Idealvorstellung als kleines Mädchen. Und nicht Biologin oder Forscherin in einem Labor oder Ethnologin. All diese Träume hatten mich vor dem Erkalten geschützt und meine innere Landschaft bereichert. Älter werden bedeutet, allmählich zu verkarsten. Immerhin bot mir die Journalistenkarriere bei einer Zeitschrift für Geschichte und Ethnologie die Gelegenheit, in meinen Lieblingsbereichen herumzuflattern.
Ich plante, eine Geschichte der Medizin und der Frauen zu schreiben, was mir erlauben würde, meiner Dreifach-Berufung von einst Genüge zu tun. Letzten Endes ist das schönste Alter dasjenige, in dem man weiß, an welchen Träumen man am stärksten hängt, und in dem man noch einige davon verwirklichen kann. Da ich für meine Zeitschrift Hier et Aujourd'hui viel auf Reisen war, hatte ich mich für zwei Jahre von der Universität beurlauben lassen.
Auch Gauvain hatte, wenn nicht sein Leben, so doch seinen Standort geändert. Die Reederei von Concarneau hatte sich nach längerem Zögern entschlossen, einige SuperThunfischtrawler bei den Seychellen zu stationieren, um dort industrielle Fischerei zu betreiben, und auf eines dieser Riesenfabrikschiffe, die
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