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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoîte Groult
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Noch einmal das Risiko eingehen, unglücklich zu sein?«
»Unglücklich sein, das ist mir scheißegal. Aber niemals glücklich sein, das ist…«
»Ach, mein Lozerech, wir haben keine Zeit mehr, über die Liebe zu sprechen. Hast du gesehen, wie spät es ist? Laß mich lieber mal schnell auf meinen Kalender schauen!«
Ich hatte sowieso vor, in der nächsten Zeit eine Reportage über das Gallierdorf zu machen, das in der Nähe von Alésia nachgebaut werden sollte. Warum nicht das Risiko einer Kulturreise mit Gauvain eingehen und ihn mitnehmen, zum Beispiel nach Vézelay? Der Gedanke an die Liebe ließ mich plötzlich auflodern.
»Wie wär's, wenn ich dich ausnahmsweise mal nach Frankreich einladen würde? Da man mir sowieso ein Zimmer bezahlt, kommt es auf ein zusätzliches Bett auch nicht an, und wir könnten uns eine gastronomische, historische und auch sonst angenehme Reise vornehmen…«
»Einverstanden, vor allem mit dem ›und auch sonst angenehm‹! Aber die historische Reise buche ich auch mit, wenn es sein muß, du wirst schon sehen, was du dir einbrockst!«
Er umschlang mich so leidenschaftlich wie nur möglich in dem eingeschränkten Innenraum des Wagens, griff nach seiner Tasche auf dem Rücksitz und entfernte sich mit jenem wiegenden Gang, der mir früher schon die Seele, oder vielmehr den Körper aufgewühlt hatte. Als ich wieder ans Tageslicht gelangte, schnupperte ich verzückt die Luft der Flugzeughallen und der Autobahnzubringer, und ich fragte mich, wie ich es ausgehalten hatte ohne diese Lebensintensität.
    Ausnahmsweise also traf ich meinen Kormoran ein paar Wochen später im tiefsten Frankreich wieder. Aber der Kormoran war merkwürdig matt und schlug hilflos mit seinen Flügeln wie ein von der Ölpest gezeichneter Vogel. Die Freude, mich ein paar Tage lang für sich zu haben, genügte nicht, sein Unbehagen und die Furcht vor der unmittelbar bevorstehenden Abreise nach den Seychellen zu verbergen. »Das ist zu wenig, vier Tage, es ist fast schlimmer als gar nichts«, sagte er gleich im Auto, um seine ungewöhnliche Nervosität zu entschuldigen. »Ich bin zu langsam, so schnell kann ich einfach nicht leben!«
    Zum erstenmal seit er mir, mit nacktem Oberkörper inmitten von reifen Garben auf einem Wagen stehend, erschienen war und mich vollständig durcheinandergebracht hatte ‒ ein Gefühlsaugenblick, dessen verheerende Wirkung seit zwanzig Jahren andauerte ‒, erlebte ich ihn nicht als den glorreichen Kentauren, dem Kummer und Zeit nichts anhaben konnten. Seine Augen schienen kleiner und nicht mehr von so heftigem Blau, und an seinen Schläfen entdeckte ich ein paar weiße Fäden, die das dichte Persianerfell durchzogen. Sein Gesicht begann an den Abnutzungsstellen schlaffer zu werden, und um die Augen waren die Höcker und die Vertiefungen stärker geworden; auch hatte er häufiger diesen zusammengekniffenen Blick, was seine beiden tiefen Stirnfurchen betonte. Zum erstenmal ahnte man hinter seinen immer noch schönen Zügen das Gesicht des Greises, der er eines Tages sein würde. Wir haben Paris in meinem treuen Käfer verlassen, an einem jener heuchlerischen Spätsommervormittage, an denen alles den Verrat ankündigt, obwohl man ihn nirgendwo deutlich erkennt. Der Herbst verbarg sich noch hinter reichen Blüten, zu den Astern, Sonnenblumen, Chrysanthemen kam der falsche Frühling der Glyzinien und Rosen. Aber die Erde lag von den Pflügen aufgerissen, den Blicken offen, aller wogenden Halme und aller wuchernden Gräser beraubt. Nur die burgundischen Weinberge bereiteten sich noch auf ihre gloriose Stunde vor.
    War es die Vorahnung des Winters, die mir jedes Jahr auf subtile Weise das Ende des Sommers vergiftet? Oder die unendliche Entfernung vom Lebensort Gauvains, der jetzt nicht einmal mehr in meiner Hemisphäre atmete, sondern vier Grad unterhalb des Äquators? Die Leinen, die wir uns zuwarfen, um uns gegenseitig herbeizuziehen, fielen ins Leere, und etwas Hartnäckigeres als die Abwesenheit hatte sich zwischen uns eingenistet. Dreihundert Kilometer sind wir gefahren, und es gelang uns nicht, zueinanderzukommen. Ich fand meinen Platz in seinem Leben nicht mehr. Hatte ich überhaupt einen, einen anderen als den geträumten? Auch er schien sich nicht wohl zu fühlen, aber ich wußte, daß er es nicht ertrug, längere Zeit in einem Auto zu sitzen. Er rutschte unentwegt hin und her wie ein Bär im Käfig, zog seinen Hals hoch, als wollte er ihn aus den Schultern herausschrauben, bewegte seinen

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