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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoîte Groult
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Raguenès, hatte man ihn als Kapitän geschickt. Die erste Saison von sechs Monaten war erfolgreich gewesen, und dennoch schrieb mir Gauvain Briefe, aus denen ich trotz seiner Zurückhaltung herauslas, daß er nicht glücklich war. Dakar blieb gewissermaßen eine Filiale von Frankreich, die Stadt war voll von Bretonen, und man sprach dort seine Sprache. In Mahé, wo die offizielle Sprache Englisch war, fühlte er sich isoliert und am Ende der Welt. Er verbarg seine Eile nicht, vor dem »indischen Winter«, wenn der Monsun den Ozean aufwühlen würde, nach Hause zu kommen. In Frankreich herrschte ein vor Schönheit herzzerreißender Frühling, eine jener Jahreszeiten, in denen die abgestorbensten alten Lieben von neuem sprießen, wo man Vogel sein und sich nur der Lebensfreude hingeben möchte, selbst wenn es nur ein flüchtiges Glück ist. In solchen Augenblicken genügt manchmal ein leiser Anhauch, und man wird wieder zwanzig. Am Abend nach einem jener Mittagessen, die meinen eigentlichen Hunger nicht stillen konnten, begleitete ich Gauvain zum Flughafen Orly. Er saß zusammengeknautscht wie ein Taschentuch in meinem VWKäfer und füllte den ganzen vorhandenen Raum. Seine rührende Kraft, seine breiten Knie, die an das Armaturenbrett stießen, sein Lockenkopf, der die Decke streifte, und seine Hände, die in der Stadt immer noch viel riesiger erschienen, all das ließ in mir mehr als nur Erinnerungen aufsteigen. In der engen Fahrkabine drehten sich unsere unausgesprochenen Gedanken im Kreis, und die Luft lud sich auf… mit unterdrücktem Verlangen. Ich war im Begriff etwas zu sagen, aber ich fand nicht die richtigen Worte, als ich Gauvains Hand auf meinem Schenkel spürte. Ich registrierte das leichte Zittern.
»Ja«, habe ich geflüstert. Und in diesem Ja lagen viele Dinge: Ja, ich liebe dich noch, ja doch, es ist zu spät, und, wir werden dieses Spielchen nicht unser Leben lang spielen, das wird langsam albern, was? Seine Schläfe hat er an meine gelehnt, eine vertraute Geste, und wir sind wortlos zum unterirdischen Parkplatz eingebogen. Das Leben erschien uns plötzlich sehr grausam und dieser ganze Frühling umsonst. Während ich mein Auto im dritten Untergeschoß der Hölle parkte, hat er fast brutal nach meiner Hand gegriffen, plötzlich unfähig, sich so von mir zu trennen wie sonst.
»Hör mal… Ich sag' dir das nicht gern, aber manchmal halt' ich es nicht mehr aus, dich nie zu sehen… das heißt, ich seh' dich ja, aber… du weißt schon, was ich meine. Also, ich hab' eine Idee. Ich weiß nicht genau, wann wir wieder nach Mahé zurückgehen, aber es müßte möglich sein, unmittelbar davor fünf, sechs Tage herauszuschinden. Das Schiff wird zu diesem Zeitpunkt gestrichen, und da gibt es immer Verspätung. Die Zeit könnten wir zusammen verbringen, wenn du willst… und wenn du dich freimachen kannst. Und wenn du noch Lust hast, natürlich.«
Lust? Meine Augen wanderten über seine Gestalt, ich wollte mir alles in Erinnerung rufen, was ich geliebt hatte: Sein Korsarengesicht, das von der gerade erwachten Hoffnung jünger wurde, seine gebogenen Wimpern, deren Spitzen von der Sonne rötlich geworden waren, und diesen Mund, auf dem ich so oft den Geschmack der Ewigkeit erfahren hatte. Aber eine gewisse Müdigkeit erfaßte mich beim Gedanken an einen erneuten Fieberanfall, den ich im nachhinein wie alle andern unterdrücken müßte, um zum normalen Leben zurückzufinden. Waren wir nicht zu alt mittlerweile für diese Art von Tändelei?
»Sag nicht gleich nein«, warf Gauvain ein, der meinen Gedanken folgte. »Ich weiß im voraus, was du sagen könntest. Und ich wäre hundertprozentig einverstanden mit dem, der mir raten würde, das Ganze aufzugeben. Aber ich kann mir nicht helfen, es ist stärker als ich.«
Und seine so sanfte rauhe Hand begann die Umrisse meines Gesichts nachzuzeichnen, während seine sibirischen HuskyAugen schwarz vor Zärtlichkeit wurden. »Wenn ich dich sehe, kann ich nicht hinnehmen, daß ich dich verloren habe. Es ist eine Sünde, aber ich betrachte dich als meine Frau, die, die ich von Anfang an gewollt habe.«
Eine Woge des Gefühls verbreitete sich in mir mit der Geschwindigkeit des Lichts oder der der Erinnerung, sie überflutete meinen bis dahin vorsichtig in Schach gehaltenen Körper. In das dritte Untergeschoß des Parkhauses von Orly war soeben der Frühling eingedrungen. Dem Frühling konnte ich noch nie widerstehen.
»Wir sollen also von vorne anfangen mit unseren Dummheiten?

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