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Salz auf unserer Haut

Salz auf unserer Haut

Titel: Salz auf unserer Haut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benoîte Groult
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Gauvain, der ihre Bücher nie gelesen hatte, hat mich für ihre haßerfüllten und verächtlichen Reden immun gemacht. Er hat mich von Freud befreit, wo er doch kaum dessen Namen kennt. Bei unseren endlosen Lanzengängen gibt es keinen Sieger und keine Besiegte. Ich weiß nicht, wer von beiden den anderen führt, und ich versage es mir oft, diejenige zu sein, die fordert. Aber immer wieder kommt der Moment, da bedarf es nur einer leichten Berührung, und ich verliere so schnell die Kontrolle, daß wir uns gegenseitig beschuldigen, angefangen zu haben. »Du hast so getan, als würdest du schlafen, aber hinter meinem Rücken hast du dir einen üblen Ständer angezüchtet, ich hab's sehr wohl gespürt, du Wüstling!«
»Was bist du für ein unehrlicher Mensch! Du hast mit dem Hintern gewackelt, als ich gerade am Einschlafen war!«
Im Morgengrauen liegen wir dann endlich da wie ausgezählte Boxer, und schweigend danke ich dem Herrn, während ich sein noch ganz dralles Vögelchen fest in meiner Hand halte. Gauvain schläft wie üblich mitten in einem Satz ein, und das sanfte Vögelchen schwindet dahin. Beim Erwachen enthält meine zur Muschel geformte Hand nur noch einen labbrig gekrümmten, am Schüsselboden vergessenen Spargel. Am nächsten Morgen hat im grellen Licht des kanadischen Vorwinters auch der Liebeszauber Ähnlichkeit mit altem Spargel. Gauvain hat Migräne, das liegt an der Zeitverschiebung. Ich habe ebenfalls Migräne, das liegt wohl am Wodka. Papperlapapp, sagt die Anstandsdame, das sind die Reize der Fünfziger. Schaut doch nur mal auf eure Hausapotheke im Regal, das ist ein Zeichen, das nicht trügt. Die Liebe und danach Neuralgin, dazu Kniewärmer, Östrogen und Abführmittel, und dann der Wadenkrampf, wenn's dem Ende zugeht, das ist das Alter, du wirst schon sehen! ‒ Halt die Klappe, du alte Schachtel! ‒ Und hast du bemerkt, daß er jetzt jedesmal, wenn er sich aus einem tiefen Sessel hochschraubt, ein angestrengtes » Ho« von sich g ibt? Außerdem wollte ich dir noch melden, daß er häufig gähnt, er muß wohl an Sodbrennen leiden. Übrigens nimmt er Gelusil. Du solltest ihn nicht zum Trinken animieren. Hast du seine Haut am Hals bemerkt? Sie wirft Falten. ‒ Kümmere dich um deine eigenen Falten! ‒ Richtig! Schau doch mal deine Arme an, sie betonen dein Alter, freundlich ausgedrückt. ‒ Wie alt meine Arme sind, geht mich im Moment nichts an. ‒ Apropos Alter, deine Libido wird ziemlich abstoßend in der letzten Zeit, meine Liebe. Ich frage mich, ob diese ganzen Hormone, die man euch heutzutage verschreibt… ‒ Mein Hormon heißt »Ich liebe dich«. Mein Hormon ist, wenn man mir sagt, ich sei hinreißend. Und das mit soviel Überzeugung, daß ich es zum Schluß auch noch glaube! ‒ Haha! Nun ja, wenn er doof genug ist, dich hinreißend zu finden, dann mußt du die Lage nutzen, einen anderen, der dir das sagt, findest du nicht mehr. ‒ Ich such' auch keinen. ‒ Man sucht immer, Mädchen. Und noch ein Detail, wenn du erlaubst, fährt sie fort, unerbittlich: Er hat einen der vorderen Backenzähne verloren, und diesmal hat er ihn nicht auf der Kampfstatt gelassen wie den anderen. Ein fehlender Zahn mag einen Piratentouch verleihen, aber zwei, das sieht verdammt nach Opa aus. Du willst ja nichts sehen, aber ich bin wachsam.
Wenn man lange genug weit voneinander entfernt lebt, läßt man sich leider von seinen Träumen fortreißen. Irgendwann liebt man dann jemand, den es gar nicht mehr richtig gibt, den vor allem die Sehnsucht gestaltet. Schreiben ist Verrat an der Realität. Die Liebe per Briefwechsel ist trügerisch. In einem Brief erspart man sich gegenseitig die kleinen körperlichen Gebrechen, die in der Wirklichkeit die edelsten Gefühle zerrütten können. In einem Brief rülpst man nie. Man hört darin auch nicht die Gelenke knacken. Ein Mann denkt jedoch nicht daran, die kleinen Zwänge des Alters zu vertuschen, um so weniger, wenn er in einer Männergemeinschaft lebt.
Seltsamerweise aber flößen mir die Symptome nichts als Mitgefühl ein. Meine Zärtlichkeit wird um so stärker, wenn sich sein lustverzerrtes Gesicht über mich neigt und ich dabei seine erschlafften Züge erkenne, wenn seine hängende Zunge im Halbdunkel seines offenen Mundes glänzt.
Man denkt an die Zunge einer sterbenden Schildkröte, bemerkt die Anstandsdame. ‒ Die Leidenschaft entstellt, das weiß jeder, erwidere ich. ‒ Die jungen Männer nicht, antwortet sie. Und so in fünf, sechs Jahren mußt du dich

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