Heute und für immer: Roman (German Edition)
1
Die Dämmerung war hereingebrochen, jenes seltsame, beinahe mystische Zwischenspiel des Tages, wenn es für kurze Zeit hell und dunkel zugleich ist. In wenigen Augenblicken würde die untergehende Sonne den noch azurblauen Himmel in eine glühende Feuersbrunst verwandeln. Dann würden die Schatten länger werden, und die Vögel allmählich verstummen.
Kasey stand am Fuße der breiten Steintreppe, die zum Taylor Mansion emporführte. Beeindruckt ließ sie ihren Blick an den massiven weißen Säulen, den rostroten Backsteinen und den glitzernden Fensterfronten entlangwandern. Es gab drei Stockwerke. Da und dort drang gedämpftes Licht durch geschlossene Vorhänge nach draußen. Das Gebäude strahlte wohlhabende Würde aus. Altes Geld und den damit verbundenen Stolz.
Beängstigend , dachte sie, während sie den Blick noch einmal über die altehrwürdige Fassade schweifen ließ.
Kasey ließ den Messingtürklopfer gegen das schwere Eichenportal fallen. Das Echo des dumpfen Schlags hallte gespenstisch durch die Dämmerung. Tapfer gegen die beklemmende Stimmung anlächelnd, drehte Kasey sich um und blickte in den Himmel hinauf, um noch einmal das Farbenspiel zu bewundern. Hinter ihr wurde ein Türflügel geöffnet. Kasey fuhr herum und sah sich einer kleinen,
dunkelhäutigen jungen Frau in schwarzer Dienstbotenuniform mit blütenweißer, gestärkter Schürze gegenüber.
Wie im Film, schoss es ihr durch den Kopf, und sie musste erneut lächeln. Die Geschichte ließ sich recht abenteuerlich an.
»Hallo.«
»Guten Abend, Ma’am«, grüßte das Mädchen höflich, blieb aber wie ein Palastwächter in der Tür stehen.
»Guten Abend«, grüßte Kasey leicht amüsiert zurück. »Ich glaube, Mr. Taylor erwartet mich.«
»Miss Wyatt?« Das Mädchen musterte sie misstrauisch und machte keine Anstalten, den Weg freizugeben. »So viel ich weiß, rechnet Mr. Taylor erst morgen mit Ihrer Ankunft.«
»Ja, das ist richtig, aber nun bin ich schon früher gekommen.« Immer noch lächelnd, trat sie an dem Dienstmädchen vorbei in die Halle. »Vielleicht wären Sie so freundlich, Mr. Taylor Bescheid zu geben«, schlug sie vor. Ein dreiarmiger Kerzenleuchter warf tanzende Lichtkreise auf den kostbaren Perserteppich.
Mit einem besorgten Blick in Kaseys Richtung schloss das Mädchen die Tür. »Wenn Sie bitte hier warten wollen«, sagte es und deutete auf einen zierlichen Louis-Seize-Sessel. »Ich werde Mr. Taylor Ihre Ankunft melden.«
»Danke, sehr freundlich«, erwiderte Kasey abwesend. Sie hatte an der gegenüberliegenden Wand ein Selbstporträt von Rembrandt entdeckt. Die Hausangestellte huschte lautlos davon. Kasey studierte das Bild und wandte sich dann dem nächsten Gemälde zu. Ein Renoir. Das Haus ist ein wahres Museum, dachte sie und schlenderte durch die Halle wie durch eine Galerie. Ihrer Ansicht nach sollten solche Kunstschätze der Öffentlichkeit zugänglich sein, damit möglichst viele Menschen sie ansehen und sich an ihnen erfreuen
konnten. Ob in diesen Gemäuern überhaupt jemand wohnt?, fragte sie sich unwillkürlich und strich mit dem Zeigefinger ehrfürchtig über einen der dicken Goldrahmen.
Vom Klang gedämpfter Stimmen aus ihren Betrachtungen gerissen, drehte sie sich um und lauschte unvermittelt den gemurmelten Worten. »Sie ist eine der führenden Experten auf dem Gebiet der Indianischen Kultur, Jordan. Ihre jüngste Veröffentlichung fand in der Fachwelt großes Interesse. Dabei ist sie mit ihren fünfundzwanzig Jahren noch ein Baby in der sozusagen altehrwürdigen Riege der Anthropologen.«
»Das ist mir bewusst, Harry, sonst hätte ich deinen Vorschlag, sie als Beraterin für mein Buch hinzuzuziehen, wohl kaum angenommen.« Jordan Taylor nippte an seinem Aperitif, den er sich stets vor dem Dinner genehmigte. Er trank ihn langsam und mit Genuss. Der Martini war trocken und mit dem kleinen Schuss Wermut genau nach seinem Geschmack gemixt. »Dennoch frage ich mich ernsthaft, wie sich die nächsten Monate gestalten werden. Gelehrte Damen dieser Fachgebiete machen mir immer ein wenig Angst und ich zähle sie eigentlich nicht zu meiner bevorzugten Gesellschaft.«
»Du suchst ja auch keine Gesellschafterin, Jordan«, parierte sein Gesprächspartner trocken und angelte eine Olive aus seinem Martiniglas. »Was du suchst, ist ein Experte für Indianische Kultur. Und genau den beziehungsweise die Expertin hast du gefunden«, setzte er hinzu und schluckte die Olive hinunter. »Außerdem kann ein kluges
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