Salz und Asche - Roman
bei einer Lüneburger Patrizierfamilie angestellt war, brachte Lene immer reichlich Geschwätz mit, wenn sie nach dem Essen zurückkehrte. Sie wusste, um welche Frau der verwitwete Herr von Dassel anhielt, für wann die Beerdigung der alten Mutter vom Ratsherrn Witting angesetzt war und wessen Söhne die Büttel nun wieder nachts auf der Straße aufgegriffen hatten.
»Der schöne Lossius war mal nicht dabei«, kicherte sie. Das erinnerte Susanne an das Gespräch in der Werkstatt. Sie biss den Nähfaden ab und ließ sich seufzend gegen die Lehne der Bank zurücksinken. »Herr Lossius will morgen kommen und mit Vater sprechen. Gleich in der Früh müssen wir die Dornse lüften. Sie kommen am Nachmittag. Da wäre wohl auch ein bisschen Kuchen richtig.«
»Hoffentlich gibt er deinem Vater einen ordentlichen Auftrag. Er kauft zum ersten Mal bei ihm, nicht wahr?«, fragte Lene.
»Ja. Er hat früher mit Marquart Geschäfte gemacht. Aber der ist ihm zu tüdelig geworden.«
»Das kommt davon, wenn einer seine Werkstatt nicht rechtzeitig an Jüngere abgibt. Aber der Alte hat eben keinen Sohn mehr, da fiel ihm die Entscheidung wohl zu schwer.«
»Töchter hat er«, murmelte Susanne.
Lene gluckste vergnügt. Sie steckte inzwischen mit dem halben Arm im Aschefach des Herdes. »In der Tat. Und wenn es nach deinem Bruder geht, dann hat er bald wenigstens einen Schwiegersohn.«
»Erzähl nichts herum, was noch nicht wahr ist.« Susanne unterstrich ihre Worte mit dem erhobenen Zeigefinger.
Lene schüttelte den Kopf. »Das würde ich nicht. Ist doch
mit Martin eine andere Sache als mit einem wie Lenhardt Lossius, den die Leute jede Woche mit einer anderen verloben. Bei dem macht es keinen Unterschied.«
»Da siehst du. Gerade weil die Leute so denken und sinnlos daherreden, ist wahrscheinlich nur wenig davon wahr. Ein Urteil soll man nur fällen, wenn man die Wahrheit kennt.«
»Aber dass Lossius sich nachts herumtreibt, ist keine Erfindung«, wandte Lene ein.
»Wenn ein junger Mann nachts durch die Straßen läuft, heißt das noch nicht, dass er verdorben ist. Glaub nicht, ich wollte ihn dafür in Schutz nehmen. Er weiß gewiss, was für ein Eindruck entstehen muss. Trotzdem soll man seine Meinung nur aus dem bilden, das man sicher weiß.«
Lene kicherte wieder. »Sicher weiß ich, dass er auf dem Schützenfest schon mehr als ein Mädchen geküsst hat. Und ein großes Geheimnis hat er nicht daraus gemacht. Da muss ich doch denken …«
»Nun reicht es. Morgen ist er unser Gast, und wir werden höflich und freundlich sein, wie zu jedem anderen. Und jetzt zu Bett.« Susanne räumte das Nähzeug zusammen und half Lene noch dabei, ihr Nachtlager auf der Küchenbank herzurichten, dann ging sie nach oben.
Sie fühlte sich beunruhigt und wusste nicht genau, warum. Vielleicht war es die Aussicht auf Martins Verlobung oder der hohe Besuch am nächsten Tag. Ihr war, als stünden ihr große Veränderungen bevor, als würde ein Bogen gespannt, um in Kürze loszuschnellen. Sie spürte nicht nur Besorgnis, sondern auch eine süße Aufregung, die sie zuletzt als Kind an den Tagen vor dem Weihnachtsfest erlebt hatte.
Als sie etwas später unter ihre Bettdecke schlüpfte, gestand
sie sich ein, dass ihre Unruhe auch mit Jan Niehus zu tun hatte. Zum ersten Mal hatte er sie heute auf dem Hof so angesehen, als würde er sie bemerken. Sein Blick war ihr durch und durch gegangen. Selbst bei der Erinnerung daran wurde ihr wieder heiß.
2
Der schöne Lossius
L enhardt Lossius war ein auffallend großer, kräftiger junger Mann. Er überragte seinen Vater um eine halbe Haupteslänge. Susannes Vater musste sogar zu ihm aufschauen. Lenhardts Gesicht war lang und schmal, seine Züge scharf und ebenmäßig geschnitten. Er strahlte aus, dass er von seinem guten Aussehen wusste und es ebenso genoss wie seine hohe Stellung in der Gesellschaft. Unter den jungen Männern, die ihn von den Wehrübungen, Zunftversammlungen oder aus dem Wirtshaus kannten, galt er dennoch als umgänglich und frohsinnig.
Susanne hatte ihn schon oft gesehen, allerdings nur im Vorübergehen auf der Straße oder auf dem Markt, auf Festen oder auf der Bank vor Lossius’ Anwesen. Aus der Nähe hatte sie ihn noch nie betrachtet und sich schon gar nicht mit ihm unterhalten.
Der Unterschied zwischen seinem und ihrem Stand zeigte sich bereits in der Kleidung deutlich. Allein die feinen Kniestrümpfe, die er an seinen langen, wohlgeformten Beinen trug, und der schmucke, schmale
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