Salzburger Totentanz
September.«
Endlich schien der junge Mann verstanden zu haben. Er lockerte den krampfhaften Griff um seine Aktentasche, nickte kurz und verschwand.
Bosch ließ den Brief der Warschauer Universität auf den Schreibtisch fallen, stand auf und streckte sich. Dann ging er zum Fenster und lehnte sich über den verwitterten Steinsims.
Der Domplatz lag menschenleer in der beginnenden Mittagshitze, wie ein verlassener Theatersaal. Zwei Nonnen überquerten den Platz vom Domportal her, wo die Holzbühne des »Jedermann« aufgebaut war. Die Sonne stand bereits so hoch im Zenit, dass ihr steifer schwarzer Habit kaum einen Schatten auf die weißen Steine warf. Mit schnellen kleinen Schritten, den Stoff ihrer Hauben im Luftzug gebläht, schienen sie wie zwei Schiffe dahinzusegeln. Bosch kniff die Augen zusammen und schaute ihnen nach.
»Alle Plätze sonnig schweigen, tief in Blau und Gold versponnen«, murmelte er, »traumhaft hasten sanfte Nonnen, unter schwüler Buchen Schweigen.« Schon als Schuljunge hatte er Trakl geliebt.
Die beiden Ordensschwestern verschwanden in der Franziskanergasse, und der Domplatz lag wieder menschenleer im weißen Licht.
Bosch wandte sich gottergeben erneut seinen Papierstapeln zu. Aber so recht wollte ihm die Arbeit nicht von der Hand gehen. Immer wieder irrte sein Blick zu dem Karton, der so unübersehbar im Weg stand. Sollte er sich die Unterlagen doch gleich anschauen? Vielleicht enthielten sie ja irgendwelche Antworten auf die Fragen, die Salcheneggers Tod in ihm aufgeworfen hatte.
Entschlossen stand Bosch auf, packte den Karton und schleifte ihn über das knarrende Parkett zum Schreibtisch. Dann klappte er den Deckel auf und warf einen missmutigen Blick in die Schachtel. Michaela musste alles, was sie gefunden hatte, einfach wahllos hineingeworfen haben. Verärgert zog Bosch ein paar Papiere heraus.
Offensichtlich hatte sich Michaela nicht einmal die Mühe gemacht, die privaten von den geschäftlichen Unterlagen zu trennen. Er entdeckte ein noch ungeöffnetes, amtlich aussehendes Schreiben des Magistrats der Stadt Salzburg, einen offenen Briefumschlag, der den Stempel einer Anwaltskanzlei trug und ein Kuvert des Festspielbüros mit zwei Opernkarten für die kommende Festspielsaison. »La Traviata«. Bosch hob die Brauen. Mit seinem Gehalt konnte er sich diesen Kunstgenuss jedenfalls nicht leisten. Er schob die Karten wieder zurück und deponierte das Kuvert sorgsam im Schreibtisch. Das Schreiben des Magistrats legte er ungeöffnet dazu. Blieb noch der Brief des Anwalts. Ein rascher Blick auf den Poststempel verriet, dass das Schreiben erst zwei Wochen alt war. Bosch zog den Brief aus dem Umschlag und las.
Sehr geehrter Herr Professor,
Bezug nehmend auf unser letztes Gespräch in meiner Kanzlei darf ich den Termin am 26. August, um 10.30 Uhr, zur Errichtung der geplanten Stiftung bestätigen. Ein Notar wird zur Mantelung der Stiftungsurkunde anwesend sein. Auch das bereits besprochene Testament habe ich in meiner Kanzlei vorbereiten lassen. Ich schlage daher vor, uns eine halbe Stunde vor dem angesetzten Termin zu treffen, um den Inhalt des Testaments noch einmal durchzugehen und gegebenenfalls anschließend in Anwesenheit des Notars gleich zu unterzeichnen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Eberhard Monk, Rechtsanwalt
Bosch runzelte die Stirn. Salchenegger war Witwer gewesen und seine einzige Tochter damit die Haupterbin. Hatte er für sie eine Stiftung errichten wollen? Und konnte denn der Ordinarius eines Kunstgeschichteinstitutes überhaupt ein so großes Vermögen haben, dass es sich lohnte, dafür eine Stiftung zu gründen? Boschs Blick wanderte zu den teuren Festspielkarten. Nachdenklich legte er den Anwaltsbrief dazu.
Der restliche Inhalt des Kartons würde noch den ganzen Vormittag in Anspruch nehmen. Alte Manuskriptseiten mit Bleistiftkorrekturen an den Rändern, verschiedene, zum Teil schon längst verjährte Taschenkalender, mit unleserlichen Kürzeln und Kritzeleien übersäte Notizzettel, ein Reiseprospekt. Bosch nahm den ganzen Stapel und warf ihn in den Papierkorb. Ein paar Zettel verfehlten ihr Ziel und fielen zu Boden. Er musste sich bücken und halb unter den Schreibtisch kriechen, um die Papiere hervorzuangeln. Heftig schnaufend erhob er sich und warf einen Blick auf den Reiseprospekt in seiner Hand.
Die glatte bunte Vorderseite zeigte ein typisches bayrisches Haus, weiß mit blaugrauer Lüftlmalerei auf der Fassade, unter einem unnatürlich blauen Himmel. Im
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