Salzburger Totentanz
Schritte waren zu hören, und jemand musste das Ganglicht angeknipst haben, denn ein schmaler Lichtstreifen erschien unter der Tür. Das hastige Getrappel von Hundepfoten näherte sich dem Arbeitszimmer, und das Gebell steigerte sich zu wütendem Keifen.
Der Mann, der zunächst wie erstarrt dagestanden hatte, griff nun nach dem Stemmeisen und ließ es in seiner Jacke verschwinden. Dann eilte er zur Terrassentür und knipste die Taschenlampe aus. Beinahe wäre er auf den unebenen Steinplatten der Terrasse gestolpert. Gerade noch konnte er seinen gewichtigen Körper abfangen, dann eilte er mit schnellen Schritten über den Rasen der Hecke zu. Auf halber Strecke drehte er sich noch einmal zu der jetzt hell erleuchteten Terrassentür um, aus der in diesem Moment eine riesige gefleckte Dogge stürmte. Der Mann stürzte sich mit ausgestreckten Armen durch die Hecke. Kurz darauf stand er keuchend auf der Straße. Auf der anderen Seite des Gartenzauns hörte er das wütende Gebell der Dogge.
Schnell wechselte er die Straßenseite und schlug den Weg in Richtung Innenstadt ein. In diesem Moment bog ein Auto in die Straße ein und erfasste ihn im Scheinwerferlicht. Er blieb schwer atmend stehen, ging dann langsam weiter, den Blick zu Boden gerichtet. Es war eine Polizeistreife, die im Schritttempo auf ihn zufuhr. Hinter der Hecke bellte immer noch der Hund. Aufmerksam musterte der Beamte auf dem Beifahrersitz ihn im Vorbeifahren. Dann beschleunigte der Streifenwagen.
Der Mann stellte erleichtert seinen Jackenkragen auf und bog mit schwankenden Schritten auf die Aigner Straße Richtung Altstadt.
FÜNF
Hans Bosch stand an den weit offenen Fensterflügeln des Instituts und blickte auf die von der frühen Morgensonne bestrahlten Dächer der Stadt. Das eben erst mit scharfem Wasserstrahl gesäuberte Kopfsteinpflaster trocknete, und sein aufsteigender Dampf verwandelte sich in goldene Nebelschwaden, die durch die mittelalterlichen Gassen zogen und dumpf riechend in das noch kühle Arbeitszimmer drangen.
Er trat zu Professor Salcheneggers Schreibtisch, wo sich verschiedene Unterlagen stapelten. Persönliche Briefe, das letzte Sitzungsprotokoll des Akademischen Senats, ein Dankschreiben für die Vermittlung eines Restaurators, mehrere Einladungen zu Gastvorträgen an ausländischen Universitäten, eine Honorarabrechnung für ein Gutachten.
Bosch seufzte. Er hasste Büroarbeit. Sein Blick wanderte zu dem großen Karton, der neben der Tür auf dem Boden stand, und der noch weitaus unangenehmere Arbeit enthielt. Michaela Salchenegger hatte ihn auf der Beerdigung ihres Vaters gebeten, die Unterlagen zu sichten, die der Professor in seinem Privathaus in Aigen aufbewahrt hatte. Der Karton war noch größer als befürchtet, doch sein Inhalt würde warten müssen. Bosch senkte den Kopf und vertiefte sich in die Tagespost.
Es war schon nach elf, als ein zaghaftes Klopfen zu vernehmen war. Die Tür wurde geöffnet, und ein junger Mann schob sich ins Zimmer. Sein Blick war auf Bosch hinter dem Schreibtisch gerichtet, sodass er den Karton am Boden nicht bemerkte und mit dem Schuh unsanft dagegenstieß.
»Oh, Verzeihung …«
Erst jetzt blickte Bosch auf. »Macht nichts. Kommen Sie herein.«
Der junge Mann blieb jedoch an der Tür stehen und hielt eine abgegriffene Aktenmappe wie einen Schild vor seinen kräftigen Körper. Seine dunklen Augen, die flüchtig zu dem Karton geglitten waren, hefteten sich wieder auf Bosch.
»Was kann ich für Sie tun?«
Der Student gab keine Antwort.
»Na, was ist?« Bosch hatte genug zu tun.
Der junge Mann schluckte, dann sagte er: »Es geht um diese Lehrveranstaltung …«
»Ja? Welche Lehrveranstaltung?«
»Frida Kahlo.«
»Frida Kahlo? Sie meinen das Surrealismus-Seminar bei Professor Salchenegger?«
Der Student nickte.
»Ja, wissen Sie denn nicht, dass Professor Salchenegger vor zehn Tagen verstorben ist?«
»Äh, doch. Vielleicht könnte ich mich trotzdem anmelden …?«
So ein Unsinn war Bosch noch selten zu Ohren gekommen. »Natürlich können Sie sich noch nicht anmelden«, sagte er unwillig. »Der Nachfolger für Professor Salchenegger steht noch nicht fest. Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht helfen kann.«
Der Student stand steif an der Tür und kniff den Mund zusammen.
»Wie Sie sehen, bin ich, äh … ich bin im Moment sehr beschäftigt«, sagte Bosch. »Warten Sie einfach das neue Inskriptionsverzeichnis ab und melden Sie sich dann bei der Sekretärin. Aber nicht vor Mitte
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