Salzburger Totentanz
Garten war, wusste, dass sie zu Hause war. Und es war ihm egal. Oder noch schlimmer, es kam ihm gerade recht. Sollte sie die Polizei rufen? Wo lag bloß wieder ihr Handy?
Michaela tastete, den Blick starr auf die Terrassentür gerichtet, nach der Fernbedienung und schaltete den Fernseher aus. Jetzt konnte der Kerl sie zumindest nicht mehr sehen. Sie erhob sich mit weichen Knien und schlich zur Terrassentür. Als sie mit dem Bein gegen etwas Weiches stieß, hätte sie fast aufgeschrien. Achilles machte einen Satz zur Seite. Genau, der Hund! Der war ihre Rettung. Langsam streckte Michaela die Hand aus und ergriff das breite Halsband. Ein leises Knurren war die Antwort.
»Pst, Achilles«, flüsterte sie. »Nicht bellen. Ich mach jetzt die Tür auf, und du beißt den Mann. Hast du mich verstanden?«
Hatten Teresa und Sepp ihren Hund überhaupt abgerichtet? Egal. Sie würde jetzt herausfinden, wer sich nachts in ihrem Garten herumtrieb. Schließlich konnte sie nicht den ganzen Abend herumsitzen wie das Kaninchen vor der Schlange. Michaela stieß die Tür zur Terrasse auf.
»Achilles, fass!«
Und schon hetzte der Hund mit einem Satz über die Terrasse weg auf das Rosenbeet zu. Michaela versuchte, ihm zu folgen, stolperte dabei aber und fiel der Länge nach auf die rauen Terrassenplatten. Sie stemmte sich hoch auf die Knie und spähte in die Dunkelheit, in der Achilles verschwunden war. Da fühlte sie einen festen Griff um ihren rechten Oberarm.
Sie wollte schreien, bekam aber vor Angst keinen Ton heraus. Kräftige Hände zogen sie hoch, und ihr Gesicht berührte die breite Brust eines Mannes. Sie hörte ihren Angreifer überrascht Atem holen, dann gellte sein Schmerzensschrei in die Nacht. Gleich darauf war sie wieder frei und stolperte ein paar Schritte zurück.
Die Dogge stand breitbeinig auf den Steinplatten neben ihr. Das breite Maul klaffte triefend, die lange, in der Dunkelheit graue Zunge hing heraus, und die großen glitzernden Augen fixierten ihr sich krümmendes Opfer.
»Ich bin’s doch, Michi!«, schrie der Mann.
So hatte sie nur ihr Vater genannt. Und … »Hans?!« Michaela sah zu ihrem Angreifer, der jetzt stöhnend aus dem Schatten der Markise trat und sich über sein zerrissenes Hosenbein beugte. »Hans! Wie kommst du denn hierher?«
»Na, über den Rasen. Ich wollte … Aua!« Hastig zog Hans seine Hand aus dem Loch in seiner Hose. »Ich wollte mit dir reden. Ich konnte ja nicht ahnen, dass mich diese Bestie … ahh! Verdammt, mein Bein!«
Die Dogge setzte sich auf ihre mächtigen Hinterkeulen und kratzte sich am Hals. Dann erhob sie sich schwerfällig, schüttelte sich und trabte ins Wohnzimmer zurück. Mit einem Plumpsen ließ sie sich auf den Chinateppich fallen.
Michaela starrte Hans an. »Was willst du hier? Warum schleichst du hier herum?« Langsam ging sie zur offenen Terrassentür zurück. Hans streckte die Hand aus und machte einen unbeholfenen Schritt auf sie zu.
»Michi«, sagte er, »ich wollte dir doch nur was geben.«
»Und deswegen überfällst du mich mitten in der Nacht?« Sie blieb in der Tür stehen und drehte sich um. Hans stand noch immer mitten auf der Terrasse.
Er seufzte und zog ein paar Umschläge aus der Tasche. Wortlos hielt er sie ihr hin.
»Was ist das?«
»Deine Post, was denn sonst? Aus dem Karton, den du mir freundlicherweise überlassen hast. Bei der Hitze arbeite ich immer noch am Abend. Und da bin ich extra nach Aigen herausgefahren, um dir die Post zu bringen.«
»So«, sagte Michaela, doch dann griff sie nach den Briefen und drückte sie sich an die Brust. »Danke.«
Unschlüssig musterte sie Hans, der auf dem linken Bein stand, und das rechte in einer grotesken Schonhaltung zur Seite gedreht hatte. »Du hast mich ganz schön erschreckt. Wieso hast du nicht geklingelt?«
»Ich hab das Licht im Wohnzimmer gesehen und den Fernseher, und da bin einfach durch den Garten gegangen.« Er zuckte die Schultern. »Ich wollte dich nicht erschrecken.«
Michaela warf einen Blick auf das zerrissene Hosenbein. »Wie schlimm ist es denn? Willst du ins Krankenhaus oder soll ich schauen, ob ich dich verarzten kann?«
»Wenn’s geht, nicht ins Krankenhaus.«
»Meinetwegen. Dann komm halt rein.«
Ihr ungebetener Gast humpelte ins Wohnzimmer und ließ sich übertrieben stöhnend auf das Sofa fallen. Michaela knipste die Stehlampe an, legte die Briefe auf den Tisch und beugte sich über Hans, um die Verletzung in Augenschein zu nehmen. Sein rechtes Hosenbein war bis
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