Salzburger Totentanz
rote Kerze, die aus einem mit Weihnachtskeksen geschmückten Tannengesteck ragte. Der Klavierspieler spielte Mozart, und am Nachbartisch erklang das zu laute Lachen einer sehr schlanken blonden Frau. Sie war erheblich jünger als der Mann, der ihr mit gelangweilter Miene gegenübersaß. Riesige goldene Ringe schaukelten an ihren Ohrläppchen, wenn sie den Kopf bewegte. Wahrscheinlich die Tochter.
Über der Kollegienkirche war inzwischen ein winterlicher Vollmond aufgegangen. Kleine Wolken schwebten wie silbergesäumte Fabelwesen über der Dachkuppel, als tanzten sie einen Hexenreigen. Vor Boschs innerem Auge nahmen sie Farbe und Gestalt an. Wolkenpferde mit koboldhaften Reitern bäumten sich auf, schwangen sich in die Lüfte und zerflossen zu zarten Gespinsten, die an dem Wintermond vorbeizogen. Bosch wusste genau, in welchen Farben er das Spiel am Himmel auf der Leinwand umsetzen würde. Aber seit fast einem halben Jahr hatte er keinen Pinsel mehr angerührt. Er presste die Lippen zusammen.
»Entschuldige meine Verspätung.« Katharina stand neben dem Tisch, und Bosch erhob sich rasch.
»Von St. Wolfgang bis Salzburg hinein Schneefahrbahn, ich kann dir sagen … na, ja.«
Sie hauchte ihm auf beide Wangen einen Kuss. Ein Duft, der Bosch an den Geruch auf einem Weihnachtsmarkt erinnerte, umgab sie, und ihre Haut, mit der sie sein Gesicht berührte, war so weich wie Seide. Mit einem Seufzer ließ sich Katharina auf den freien Stuhl fallen und schenkte ihm ihr strahlendes Lächeln.
»Zwei Gläser Champagner«, sagte sie zu dem Kellner, der ihr den Stuhl zurechtgerückt hatte und sich nun mit einer höflichen Verneigung entfernte. Katharina griff nach Boschs Hand. »Alter Freund. Schön, dich zu sehen.«
Bosch zuckte zusammen, machte aber keinen Versuch, seine Hand aus der Umklammerung zu lösen. Er hatte Katharina seit Monaten nicht gesehen und mehr vermisst, als er es sich hätte vorstellen können.
»Champagner?«, fragte er. Er hoffte, dass sie ihm die letzte Zeit nicht ansah. Die schlaflosen Nächte vor der Staffelei, in denen er den Pinsel zur Hand nahm und wieder weglegte. Die Tage, an denen er übermüdet vor seinen Studenten stand und doch seine Vorlesung halten musste. Der neue Institutsvorstand, dem er aus dem Weg ging. Jetzt, wo Katharina wieder da war, konnte er sich eingestehen, wie einsam er war.
»Ich kann’s mir jetzt ja leisten«, sagte Katharina und zog ihre Hand zurück.
Boschs Hand wurde kalt. »Ja, natürlich.«
Katharina schien noch schmaler geworden zu sein. Ihr Haar war länger als im Sommer und fiel ihr in glänzenden Locken auf die Schultern. Tizianrot waren sie, was ihn als Haarfarbe aber irritierte. Der scharfe Kontrast zu ihrer tannengrünen Samtjacke schmerzte Bosch. Sie erinnerte ihn etwas an einen Weihnachtswichtel.
Katharina grüßte den Mann mit der Tochter am Nebentisch. Dann beugte sie sich etwas zu Bosch vor. »Der Herr Hofrat«, murmelte sie. »Seine Begleiterinnen werden auch immer jünger.«
Bosch schaute zu dem Paar hinüber, bis die junge Frau den Kopf zu ihm wandte, und er schnell wegsah.
Der Kellner brachte die Champagnerkelche und überreichte ihnen zwei aufgeklappte Speisekarten.
»Auf unser Wiedersehen.« Katharina hob ihr Glas.
Bosch erwiderte den Trinkspruch und vertiefte sich dann in seine Karte. »Keine Termine heute Abend?«, fragte er, als sie ihr Essen bestellt hatten.
»Kein Einziger.« Sie breitete die Hände aus. »Heute bin ich nur für dich da.«
Bosch tippte mit dem Zeigefinger gegen das Tischgesteck. Die Flamme der Kerze flackerte, sank in sich zusammen und drohte zu verlöschen. Hastig zog er seine Hand zurück.
»Ich mache gerade eine Story über den Salzburger Advent.« Sie deutete auf die Kerze, die wieder stetig brannte. »Wir berichten von alten Weihnachtsbräuchen in den Bergen, besuchen eine Rotwildfütterung im Salzkammergut. Morgen Abend sind wir beim Adventssingen im Festspielhaus. Und heute Nachmittag habe ich mit Hubert Bilder vom barocken Christkindlmarkt am Wolfgangsee gemacht.« Sie seufzte, doch Bosch ließ sich nicht täuschen. Er wusste, wie sehr sie ihren Job liebte. »Ich hab mich breitschlagen lassen, Hubert mit nach Hamburg zu nehmen.«
»Aha.« Bosch nahm eine kleine Brezel aus dem silbergeflochtenen Korb. Er hatte nicht verstanden, warum sie ihre gute Position bei der Zeitung aufgegeben hatte, um zu irgendeiner Zeitschrift zu gehen, von der er noch nie gehört hatte. »Wie ist’s denn so im hohen
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