Salzburger Totentanz
wollte keine Konkurrenz. Aber das nur unter uns.« Mit einem Lächeln richtete sich Franz wieder auf.
Bosch war wie gelähmt. Er wollte sich zu Katharina umdrehen, aber sein Körper gehorchte ihm nicht. Der runde Holzplatz schien sich in eine Drehscheibe zu verwandeln, die Welt um ihn rotierte immer schneller. Franz war sein Freund. Er hatte Franz geholfen. Franz hatte ihn verraten. Er presste die Handflächen an seine Schläfen, wie um sich von dem Schwindel zu befreien, der ihn in den Abgrund ziehen wollte.
Franz breitete vor der Kulisse der leuchtenden Stadt theatralisch die Arme aus, als wollte er sich für einen Applaus bedanken. Die weiten Stoffbahnen seines Umhanges umwehten ihn wie Fledermausflügel. Als hätte Franz Johann Schwarzenberger alle Macht, sich über die Welt zu erheben und davonzufliegen in das Licht eines künstlerischen Olymps. Und zurück auf der Erde blieb Hans Bosch, klein und unbedeutend wie ein zertretenes Insekt.
Bosch fühlte, wie seine Knie zitterten. Wo wäre er heute ohne diesen Verrat? All die Jahre, die er im Hörsaal gestanden und jede freie Minute vor der Staffelei verbracht hatte. Die quälenden Selbstzweifel nach Tappeiners Absage hatten ihn fast zerbrochen. Dabei hätte er heute ein anerkannter Maler sein können. So wie Franz. Vielleicht würde er ja noch die Kraft zu einem neuen Versuch finden. Aber lange Jahre seiner Lebenszeit waren unwiederbringlich verloren. Und er selbst hatte Franz, diese Schlange, Tappeiner zugeführt.
Bosch ballte die Fäuste und machte einen Schritt auf Franz zu. Der schreckte zurück und verlor das Gleichgewicht. Seine hünenhafte Gestalt schwankte vor dem Abgrund. Mit den Stiefeln suchte er vergeblich Halt auf den nassen Holzstücken. Er reckte seine kräftigen Hände Bosch entgegen.
Im Bruchteil einer Sekunde begriff Bosch. Schnell brachte er sich aus der Reichweite der Arme. Der Kragen des Lodenumhangs öffnete sich und entblößte Franz muskulösen Hals. Bosch konnte das Pulsieren der Schlagader sehen. Franz riss die Augen auf, ehe er sich, einem Raubvogel gleich, auf die Zehenspitzen erhob, seinen Körper streckte und das Gesicht dem Himmel zuwandte.
Doch er schwang sich nicht in die Lüfte. Sein Körper bog sich zurück, Franz stürzte über den Rand des Abhangs in die Tiefe. Sein gellender Schrei wurde von den Felswänden vielfach zurückgeworfen, ehe er abrupt verstummte.
Katharina schrie auf. Mit einem Mal stand sie neben ihm. Doch Bosch drehte sich nicht um. Auf einem Felsvorsprung konnte er gerade noch einen schwarzen Punkt ausmachen. Wenn die Sonne versank, würde er mit seinem Untergrund ganz verschmelzen und unsichtbar werden.
»Kannst du ihn sehen?« Katharina zitterte leicht. In der Hand hielt sie ein Paar hochhackiger Schuhe.
»Er hätte mich mitgerissen«, sagte er leise.
»Klar«, sagte sie nur.
Ein Käuzchen schrie, und aus der Stadt stieg leise das Rauschen des Abendverkehrs herauf.
»Meinst du, er ist tot?« Professionelles Interesse lag in Katharinas Stimme, jedoch kein Mitgefühl. »So einen Sturz überlebt niemand, oder?«
Bosch schüttelte langsam den Kopf und seufzte. »Ich fürchte, nein.«
An der Stelle, wo Franz eben noch gestanden hatte, lag loses Geröll, dort, wo die nasse Erde bei seinem Sturz nachgegeben hatte. Eine kühle Brise brachte den Geruch von frischem Gras und modrigem Laub vom Tal herauf. Der schwarze Punkt war kaum noch zu sehen. Bosch horchte in sich hinein, um möglicher Trauer nachzuspüren. Aber er fühlte nichts.
»Hast du dein Handy da?«
»Was?« Er drehte sich um.
Katharina schwenkte ihre Schuhe hin und her. »Dein Handy?«
»Ich hab überhaupt kein Handy. Warum?«
»Mist.« Sie schüttelte den Kopf. »Meins ist kaputt.«
»Du willst die Rettung rufen?«
»Quatsch! Ich brauche meinen Fotografen.« Sie drehte sich halb zum Wald um. »Ich lauf schnell zurück ins Haus. Vielleicht kann ich von da telefonieren.«
Bosch schaute ihr zu, wie sie ihre bloßen Füße vorsichtig auf die Holzstücke setzte. Am Waldrand bückte sie sich, putzte sich die Fußsohlen mit der Hand ab und schlüpfte in ihre Schuhe. Kurz darauf war sie auf dem schmalen Pfad, der sich zwischen den Bäumen verlor, verschwunden. Er schaute zum Himmel hinauf, wo die gelben und orangefarbenen Wolken miteinander verschwammen, als hätte ein Maler sie mit seinem Lappen verwischt. Dann hörte er wieder die Glocken im Tal, als trauere Salzburg bereits um seinen berühmten Sohn. Bosch fühlte noch immer keine Trauer,
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