Samstags, wenn Krieg ist
Aber die anderen. Die richtigen Doitschen. Die jetzt noch brav schweigen und die Faust in der Tasche ballen. Die werden sagen: Solange es noch solche Kerle gibt, ist Doitschland nicht verloren. Nicht verraten und verkauft.“
Siggi will seine Bemerkung ungeschehen machen. Er nimmt den Benzinkanister und malt mit der Flüssigkeit ein großes Hakenkreuz auf den Rasen, dort, wo die Sitzbank steht. Es wird krumm und schief. Aber alle können es erkennen.
Seine Schuhe werden feucht. Scheiße. Ausgerechnet.
Siggi reißt ein Streichholz an, hält es hoch wie eine Fackel und will es in die Benzinpfütze werfen. Da weht der Wind das Hölzchen aus.
Er versucht es noch einmal. Wieder nichts.
Von dem kleinen Lagerfeuer am anderen Ende des Friedhofs holt er brennende Äste. Jetzt klappt es. Das Feuer scheint aus der Erde hochzuzüngeln. Blaue, helle Flammen. Blut und Boden.
Es frisst sich durchs Gras. Die grünen Fasern bäumen sich auf wie kleine Leiber. Dann brennt das Hakenkreuz vollständig. Endlich.
Fast andächtig schauen sie zu. Es ist, als würde Marschmusik erklingen. Irgendwie erhaben.
Da hören sie vom Eisentor Yogis hysterisches Lachen.
Siggi weiß sofort, wer es ist, aber Wolf zuckt zusammen, greift den Hammer.
Dieter fasst in seine Jackentasche. „Die Scheißpunks!“
Sie haben ihm schon zwei Zähne rausgehauen. Aber diesmal ist er nicht allein. Jetzt sollen sie ruhig kommen.
Siggi rennt zum Tor. Wolf hinterher, den Hammer schlagbereit.
„Yogi, was machst du denn hier? Ich habe dir doch gesagt, du sollst zuhause bleiben!“
Yogi streckt durch die Gitterstäbe die Hände nach seinem Bruder aus. An einem Nasenloch hat sich eine dicke Blase gebildet. Sie droht zu platzen, so schnell atmet Yogi. Schon hat Siggi ein Taschentuch in der Hand und wischt Yogi die Nase ab.
Wolf macht Siggi an. Wolf ist geladen wie eine Handgranate.
„Kannst du deinen dämlichen Bruder nicht an die Kette legen? Der verrät uns ja noch alle! Bring lieber deine Schwester mit.“
„Renate macht, was sie will. Du weißt doch, wie sie ist.“
„Ja!“, bläfft Wolf, und es klingt wie ein Fluch. Er hebt die Faust gegen Yogi. Es ist kein Angriff. Nur eine Drohgebärde.
Yogi tritt vom Tor zurück. Sein Gesicht verfinstert sich. Er versteht die Worte nicht, aber sie machen ihm Angst.
„Lass ihn“, sagt Siggi. „Der ist doch harmlos.“
„Und wenn ihm jemand gefolgt ist? Zum Beispiel deine Alten?“, zischt Wolf.
„Ach.“
„Ach? Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?“
Voller Wut donnert Wolf den Hammer auf den nächsten Grabstein. Der zerbricht nicht. Es bröckelt nur eine Ecke ab.
„Abflug!“, kommandiert Wolf. Er hat nicht vor, diesen Sieg in eine Niederlage umkippen zu lassen.
Sie haben eine Fete übernommen, sich vollaufen lassen und allen Angst gemacht. Sie haben diesen Friedhof verwüstet. Das reicht für heute. Wo ist schon mehr los? Soll sich ja keiner beschweren. Solange er das Sagen hat, läuft auch etwas.
Yogi rennt weg. Wolf stößt das Tor auf.
Siggi zögert einen Moment. Soll er seinem Bruder nach oder mit seinen Kameraden …
Wolf nimmt ihm die Entscheidung ab. Er zieht ihn mit sich.
Oben am Hügel, wo die ersten Einfamilienhäuser stehen, drehen sie sich um. Von hier aus kann man das brennende Hakenkreuz sehen.
Wolf atmet tief. „Morgen“, so prophezeit er, „wird nichts mehr sein, wie es war.“
Es darf einfach nichts mehr so sein, nach dieser Tat. Er fühlt sich großartig. Das Gefühl schwappt auf alle über, wie eine euphorische Energie, die sie alle durchströmt und stark macht und stolz. Sie können es auf der Haut spüren. Es kribbelt. Besonders am Rücken, zwischen den Schulterblättern.
Diese Nacht ist noch lange nicht zu Ende. Es wird die erste wirklich triumphale Nacht seines Lebens werden, das ahnt Wolf. Schade, dass Renate ihn so nicht sehen kann.
Renate …
3
Willi, von den „Froinden“ Wotan genannt, hat einen Raum für die Ichtenhagener Ultras reserviert. Er trennt die Skins gerne von den übrigen Gästen. So gibt es keinen Ärger.
Probleme mit den Jungens hat er noch nie gehabt. Und sie sorgen dafür, dass sich die Alternativen hier nicht blicken lassen. Die Autonomen. Die Punks. Die Ökos und die Schicki-Micki-Linken.
Manchmal gesellen sich die Kameraden an der Theke zu Alfred oder Karl. Die Jungens hören gerne zu, wenn die Alten von damals erzählen.
„Es war nicht alles schlecht unter Hitler, lasst euch das nur nicht weismachen. Vieles war besser als
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