Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
vorbei, wo das Murmeln betender Mönche zu hören war, und von da zum Haus der Stiftsdame. Dort wurden sie bereits von der Gräfin und den anderen erwartet. Damian wich Sanchas Blick aus. Gala, die Augen angstvoll aufgerissen, fasste verstohlen nach seiner Hand und ließ sie gleich wieder los.
Im Morgengrauen hatten sie es erfahren: Do ñ a Agnès war in der Nacht gestorben. Eines natürlichen Todes, was zu erwarten gewesen war. Nicht so ihre Betreuerin, die Edeldame Honoria von Enriquez. Zur Vigil , der ersten Gebetszeit, waren Mönche auf die weit offenstehende Tür des Stiftshauses aufmerksam geworden und hatten nachgesehen: Honoria lag direkt vor ihrem Betpult am Boden, in einer Blutlache. Jemand hatte ihr die Kehle durchgeschnitten. Schreiend waren die Mönche aus dem Haus gelaufen und hatten die Sturmglocke geläutet.
Pierre, der Abt von Gellone, trat mit ernster Miene auf Damian zu und segnete ihn. „ Nun ist aber Christus auferstanden von den Toten und der Erstling geworden unter denen, die da schlafen “, zitierte er die Heilige Schrift, dann forderte er den Knappen auf, seiner Großmutter die letzte Ehre zu erweisen. Er fuhr ihm über die braunen Locken. „Du musst dich nicht ängstigen“, beruhigte er ihn, „die Ermordete ist nicht mehr im Haus.“
Damian nickte dankbar. Er konnte das Vorgefallene noch immer nicht begreifen.
„Sollen wir dich hineinbegleiten“, fragte die Gräfin, seltsam fahrig.
Er schüttelte abwehrend den Kopf.
Als er eintrat, erschrak er dennoch. Ein dumpfer Geruch lag in der Luft. Das Blut der Ermordeten war noch nicht aufgewischt! Streng richtete er den Blick auf seine Füße.
Doch plötzlich blieb er stehen. Was war das? Das konnte doch kein Zufall sein? Er bekreuzigte sich. Nach einem zweiten, gründlichen Blick auf das bereits geronnene Blut der Kastilierin gab es für ihn keinen Zweifel mehr: Die Dame Honoria hatte ihm mit ihrem letzten Atemzug eine Nachricht hinterlassen! Auf einer der Steinfliesen erkannte er eine Tatze. Eine Bärentatze, mit blutverschmierter Hand gemalt. Zwar fehlten die Krallen, aber dafür hatte die arme Frau wohl keine Zeit mehr gehabt. Die Tatze passte jedoch genau zu dem, was ihnen Honoria in der Nacht erzählt hatte, draußen vor den beiden Zypressen, als sie auf den Beichtvater warteten. Andererseits konnte sie sich das auch nur zusammengereimt haben. Großmutter hatte schließlich seit Tagen wirr geredet. Bartomeu, das Schwein!
Die Worte taten immer noch weh. Man soll Toten nichts nachtragen, aber dass sie so abfällig über seinen Vater gesprochen hatte, würde er der Großmutter nie verzeihen.
Damian warf einen weiteren Blick auf die Tatze - doch nun zweifelte er. Das Gebilde konnte auch nur zufällig entstanden sein. Oder es war ein Zeichen Gottes. Vielleicht eine Warnung vor weiterem Unheil? Fest stand, jemand hatte das nächtliche Gespräch vor den Zypressen belauscht und sich, nachdem der Beichtvater wieder gegangen war, ins Haus geschlichen.
Zögerlich öffnete Damian die Tür zur Kammer der Großmutter. Eine Kerze brannte. Mit der schwarzen Mantille auf dem Kopf sah Do ñ a Agnès noch fremder und unnahbarer aus als am Tag zuvor. Den Leichnam zu küssen, brachte er nicht fertig. So strich er nur einmal flüchtig über die kalten, steifen Hände, die jetzt ein Kruzifix umklammerten, und sprach dann, weil ihm in der Aufregung nichts anderes einfiel, einige Zeilen aus der Apokalypse, der Offenbarung des Johannes - dem Buch, das so eng mit dem Schicksal seiner Familie verknüpft war. In weiten Teilen konnte er es auswendig aufsagen.
„ Groß und wundersam sind deine Werke, Herr, allmächtiger Gott! “, betete er leise. „ Gerecht und wahrhaftig sind deine Wege, du König der Völker. Wer sollte dich nicht fürchten, Herr, und deinen Namen preisen? Denn du allein bist heilig!“
Mit einem letzten scheuen Blick auf die „Tatze“, die ihm jetzt wieder wie eine solche vorkam, verließ er das gefürchtete Haus.
Überstürzt brachen sie noch vor der Terz auf, um nach Montpellier zu reiten. Die Zeit rannte ihnen davon. Schließlich wusste niemand, was der Mörder in der Nacht über den Engel von Montpellier herausgefunden hatte.
„Wir beide“, sagte Sancha beim Aufsteigen auf ihr Pferd, mit einem scharfen Blick auf Damian, „wir beide müssen wohl damit leben, dass wir mit unserer unüberlegten Nachfrage das Unheil erst heraufbeschworen haben.“
Damian nickte betrübt. Auf dem Ritt dachte er noch einmal über das
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