Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
Ein beängstigender Wind kam auf, der, durch nichts gebrochen, verdorrte Disteln und anderes dürres Kraut vor sich hertrieb, damit spielte, hochwirbelte und fallen ließ. Miraval trieb er Sand in die Augen; und Myriaden von Stechmücken schienen sich auf ihn stürzen zu wollen. Er zog die Kapuze weit ins Gesicht, versagte es sich jedoch zum Lederschlauch zu greifen, weil das auch kein Templer tat. Er hoffte nur, dass die Ritter ihren Weg kannten und die nächste Quelle nicht weit war.
Unter seinen wortkargen Begleitern befand sich auch Bruder Robert, der Ordensgeistliche, von dem Sancha in der Nacht behauptet hatte, dass der Komtur mit ihm einen höchst verdächtigen Blick getauscht hätte. Robert hatte ihm unterwegs mitgeteilt, dass sie sich auf einer Translationsreise befänden. „Wir führen ein Reliquiar mit uns, das nach Paris gebracht werden soll.“ Seitdem hatten sie kaum ein Wort mehr miteinander gewechselt.
Noch finsterer wurde es. Das Ockerdunkel verwandelte sich in schwarze Tinte. Blitze zuckten über den Himmel. Ein peitschender Donnerknall nach dem nächsten.
Miraval, längst in Schweiß gebadet, ängstigte sich. Ein Umstand machte ihm sogar große Sorgen: Flussbetten wie jenes, durch das sie gerade ritten, verwandelten sich bei einem Unwetter nicht selten von einem Augenblick auf den nächsten in reißende Bestien. Was, wenn die einsetzende Strömung ihn und sein Pferd wegspülte? Er hatte nie schwimmen gelernt!
Ein krachender Blitzeinschlag ganz in der Nähe war die Antwort auf sein Stoßgebet: Der Anführer deutete auf den Eingang einer Höhle, die sich auf der rechten Seite der Felsformation befand. Sie strafften die Zügel, rissen die Rösser herum, saßen ab. Die unruhigen Gäule hinter sich herziehend, erklommen sie im Zickzack den Steig.
Der Felsboden der weiträumigen Höhle, in der auch die Pferde unterkamen, war mit unzähligen spitzen, glitzernden Steinen übersät. Zwei Ritter liefen noch einmal los, um trockenes Holz zu sammeln. Kaum, dass sie zurück waren, brach das Unwetter über das Land herein. Zuerst hagelte es Eiskörner, groß wie Kirschen, dann ging ein wahrhaft biblischer Wolkenbruch hernieder, der einen dichten Schleier über die Landschaft warf.
Die Ritter beschlossen, die Nacht hier zu verbringen. Sie machten Feuer, banden den Rössern die Hafersäcke um, packten ihre Mundvorräte aus und aßen. Später beteten sie, hüllten sich in ihre Umhänge und setzten sich, mit dem Rücken an den Fels gelehnt, eng nebeneinander.
Miraval saß abermals ein Stück abseits, mit angezogenen Knien, direkt auf dem kühlen Felsboden. Mit dem Fuß hatte er zuvor die Steine beiseite geschoben. Aus den Augenwinkeln heraus beobachtete er die Templer. Einige plauderten leise miteinander. Sie waren zwar keine Gespenster in ihren schneeweißen Mänteln, aber sie verhielten sich so.
Ein letzter Schluck aus dem Wasserschlauch, der ja vermutlich morgen früh aufgefüllt werden konnte, wenn es weiter so regnete, dann hüllte sich der Troubadour ebenfalls in seinen Umhang und schloss die Augen. Doch das Gewitter tobte weiter. Irgendwann, Miraval hätte nicht zu sagen gewusst, ob er überhaupt zur Ruhe gekommen war, stand er auf, um sich die Beine zu vertreten. Am Feuer hielt Bruder Gilon, das Habichtgesicht, Wache.
„Schlimme Nacht“, meinte Gilon einsilbig, legte Holz nach und ließ den Kopf mit der speckigen Ledergoufe wieder auf sein Kinn sinken.
Miraval stellte sich für eine Weile unter den Höhlenausgang, um den Blitzen zuzusehen, wie sie den schwarzen Himmel durchpflügten. Der Regen hatte aufgehört. Er erinnerte sich an eine ähnliche Nacht, etwa zwei Wochen vor ihrer Abreise nach Aragón ...
Wie zufällig war er im Garten Sancha und ihrer Dame Petronilla begegnet und hatte sich den beiden angeschlossen. Von den Blüten der Damaszenerrosen war ein betörender Duft ausgegangen, wie es oft an schwülen Abenden der Fall war. Petronilla hatte bald auf dunkle Wolken aufmerksam gemacht, die von Osten heranzogen, und Sancha hatte ihre Dame ins Schloss zurückgeschickt – natürlich nur, um mit ihm allein zu sein.
Plaudernd waren sie an den Vogelhäusern vorbei, immer weiter in die Gärten hineingelaufen. Sie hatten viel gelacht – Sancha verstand es prächtig, zu lachen. Obendrein war sie geistreich und besaß wie er einen unerschöpflichen Vorrat an Anekdoten und Geschichten. Doch hatte sie ihm an diesem Abend nicht, wie er gehofft hatte, von Hagelstein erzählt - sondern von ihrem
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