Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
Freund Tarik, einem maurischen Gold- und Edelsteinhändler, der offenbar seit Jahren im Castillo ihres Bruders ein und ausging. Mit diesem Mauren hatte sie Glaubensgespräche geführt – eine durchaus heikle Angelegenheit in Zaragoza, wie sie sagte. Tarik kannte sich gleichermaßen im Islam und im Christentum aus, doch Sancha hatte erst hier, in Toulouse, festgestellt, dass nicht nur die Mauren die Göttlichkeit Jesu anzweifelten, sondern auch die Katharer. „Für beide ist Jesus nur der größte aller Lehrer!“, hatte sie ihn, Miraval, zu belehren versucht und gefragt, ob man die drei Strömungen nicht dadurch befrieden könnte, indem man die führenden Theologen der Mauren, Katholiken und Katharer zusammenbrächte, um über diesen hauptsächlichen Streitpunkt, also die Göttlichkeit Jesu, zu disputieren. „Meine – zugegeben etwas einfältige – Vorstellung ist es“, hatte sie allen Ernstes gesagt, „mit der gewissenhaften Auslegung der Heiligen Schrift und mit Beweisen, die nie zuvor dargelegt wurden, die Mauren und die Katharer von ihrem Irrtum abzubringen. Was sagst du dazu?“
„Und wenn es diese Beweise nicht gibt?“, hatte er eingeworfen, "oder wenn sich die Wahrheit beispielsweise im Besitz der Katharer befindet?“
„Du meinst, sie könnte in ihren scripta secreta stehen , ihren geheimen Worten? Ich habe davon gehört. Selbst Pater Sola sprach unlängst darüber. Er glaubt indes, es handle sich um freche Lügenschriften. Ach“, seufzte sie, „ich weiß nicht, was ich von all dem halten soll. Wer lügt? Wer sagt die Wahrheit? Pater Sola macht es sich jedenfalls zu einfach."
Als Miraval ihr gerade vorsichtig seine Glaubensvorstellungen darlegen wollte, brach das Gewitter über sie herein. In ihrer Bedrängnis liefen sie zum alten Wachturm hinüber, von wo aus sie stumm und seltsam befangen die Blitze betrachteten, wie sie in die Garonne fuhren. Auf dem Rückweg - Petronilla und die Wächter der Nacht waren bereits auf der Suche nach ihnen gewesen – hatte Sancha beim ersten Aufblitzen der Fackeln nach seiner Hand gefasst, ihn angesehen und gesagt: „Bei Gott, ich glaube, mein Freund Hagelstein hat recht, was die unterschiedlichen Religionen betrifft: Ein Schutzschild, der aus Lügen ist, gibt Sicherheit nur kurze Frist. “
Sanchas Spruchvorrat aus dem Mund ihres sonderbaren Narren war groß. Doch Miraval erinnerte sich vor allem an ihr freies, offenes Gesicht, als sie ihn in diesem Augenblick ansah.
Beim ersten Licht des nächsten Tages stellten die Templer fest, dass einer von ihnen fehlte: Pater Robert. Als er nach dem Packen der Satteltaschen noch immer abgängig war, machten sie sich auf die Suche nach ihm. Sie fanden ihn unweit der Höhle - jedoch in einem Zustand, der Miraval ein Würgen in die Kehle trieb. Robert lag verkrümmt und halb verbrannt unter einer vom Blitz gespaltenen Kiefer. Doch als der Troubadour näher trat, stutzte er. „Man könnte meinen, jemand habe ihm ... die Kehle aufgeschlitzt“, sagte er leise.
„Das war der Blitz“, beschwichtigte einer der Templer, und keiner widersprach. „Vermutlich hat unser Bruder die Höhle verlassen, weil ihn ein Irrlicht narrte.“
Ein Irrlicht? Augenblicklich tanzten silberne Kreuze vor Miravals geistigem Auge auf und ab - worauf er beschloss, den Mund zu halten.
Um die Leiche, oder das, was von ihr übrig war, vor wilden Tieren zu schützen, forderten die Templer Miraval auf, Steine zu suchen. Er kletterte den Steilhang an einer Stelle hinab, unterhalb derer er gestern Geröll gesehen hatte und dort entdeckte sie den Beweis für seinen dunklen Verdacht. Inmitten der Steine blitzte ihm ein Messer entgegen. Es war von der Art, wie sie die Templer benutzten.
Wie erstarrt blieb Miraval stehen. Sein Eindruck hatte ihn also nicht getrogen. Jemand hatte den Kaplan umgebracht. Doch weshalb? War es um die Reliquie gegangen oder um jene heikle Angelegenheit, wegen der er, Miraval, mit den Templern unterwegs war? Irgendetwas stimmte nicht. Das hatte offenbar auch Sancha gespürt.
Im Flussbett unter ihm rauschte das Wasser. War der Mörder in der Nacht auf dem Weg dorthin gewesen, um das Messer zu säubern? Dann musste der Mord geschehen sein, nachdem der Regen aufgehört hatte. Geriet der Mörder in Panik, weil über ihm plötzlich der Blitz in die Kiefer fuhr, unter der Roberts Leiche lag?
Miraval warf einen Blick hinauf zur Höhle. Die Templer standen noch immer um den Toten herum, redeten miteinander. Oder beteten. Niemand
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