Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
Gespräch mit Honoria nach.
„Seine Gnaden, Bischof Fulco, hat Do ñ a Agnès ein Pergament vorgelegt“, hatte sie ihnen nach einigem Zögern erzählt. „Eine Zeichnung wie von Kinderhand. Ein Panther mit dem Kopf eines Löwen und mit Bärentatzen - so hat es Bischof Fulco erklärt.“
Gräfin Sancha hatte ungläubig aufgelacht. „Bärentatzen?“
„Gewiss. Und ein flatternder Engel. Alles wie von Kinderhand.“
An dieser Stelle hatte Damian zu schwitzen begonnen und sich gefragt, ob noch alles mit rechten Dingen zuging. Wie waren seine Zeichnungen auf das Pergament des Bischofs geraten?
Die Gräfin – zusammengekniffene Augen und schmaler Mund – hatte ihm mit Honorias Windlicht prompt ins Gesicht geleuchtet. „Verstehe“, hatte sie gesagt, nur dieses eine Wort, und dann die Kerze zurückgegeben. „Ein Engel also, von Kinderhand gezeichnet. Erzählt weiter, Do ñ a Honoria, es ist wichtig!“
„Verzeiht, Gräfin, aber ich muss wieder hinein. Ich befürchte ...“
„Eine einzige Frage noch“, Sanchas Tonfall ließ keinen Widerspruch zu. „Was hat Doña Agnès zu den Zeichnungen gesagt?“
„Nichts. Kein Wort. Nur immer von ihrem Gemahl hat sie geredet, von Wilhelm. Wie vorhin auch."
„Hat Bischof Fulco sie nach ihrer Tochter Alix befragt?“
Mit einem Mal war der Kerzenschein wie ein kleiner Teufel über die Hauswand gehüpft, so sehr hatte Honorias Hand gezittert. „Ja, und auch nach dem Vater des Jungen, nach Bartomeu von Cahors, sowie nach allen Leuten, die an Wilhelms Sterbetag im Turm von Montpellier waren. Auch ich war seinerzeit anwesend. Ich bin Kastilierin wie meine Herrin und seit meiner Jugend in ihren Diensten. Aber nun muss ich wirklich ins Haus!"
Abermals hatte die Gräfin Damian sonderbar angesehen - und dann Honoria festgehalten und ins Blaue hinein gefragt, ob „der Engel von Montpellier“ noch immer existiere.
Da hatte der tanzende Lichtteufel plötzlich Riesensprünge gemacht. „Sonderbar!“, hatte die Dame ausgerufen. „Nach ihm hat mich Bischof Fulco ebenfalls gefragt. Der gute Wilhelm hat ihn seinerzeit anfertigen und aufstellen lassen, und er hat täglich Zwiesprache mit ihm gehalten. Er steht wohl noch immer an Ort und Stelle. In der Kapelle. Wer sollte ihn gestohlen haben?"
Sie ritten so schnell sie konnten.
Als sie unterwegs kurz rasteten, nahm Oliver Damian zur Seite. „Es wird offenbar Ernst. Wie willst du dich in Montpellier verhalten?“
„Lass mich nur machen. Du weißt von nichts!“, flüsterte Damian.
Am Abend jedoch, als sie in einer Pilgerherberge einkehrten – es gab zahlreiche zwischen Gellone und Montpellier - beorderte Sancha Damian zu sich. Sie habe mit ihm zu reden. Als er eintrat, schickte sie Petronilla und Gala hinaus.
Damian schwante nichts Gutes. Fast klapperten ihm die Zähne.
„So geht es nicht weiter, mein Junge", fuhr sie ihn heftig an. Ihre Augen funkelten. "Ich bin die Gräfin von Toulouse. Ich habe mich nicht auf diese gefahrvolle Reise begeben, um von dir fortwährend belogen zu werden.“
„Aber ich ...“
„Nun, lügst du nicht, so verschweigst du mir etwas! Du glaubst wohl, schon so klug wie dein Vater zu sein, der offenbar das Ganze angezettelt hat und dann auf Nimmerwiedersehen verschwunden ist. Aber das bist du nicht. Du bist auf Gedeih und Verderb auf meine Hilfe angewiesen, wenn du nicht in die Hände deiner Feinde fallen willst. Und nun denk nach und dann erkläre mir, was diese Zeichnungen bedeuten.“
Damian senkte den Kopf. Darüber konnte er reden. Leise begann er zu zitieren: „ Und ich sah ein Tier aus dem Meer steigen, das hatte zehn Hörner und sieben Häupter und auf seinen Hörnern zehn Kronen und auf seinen Häuptern lästerliche Namen. Und das Tier, das ich sah, war gleich einem Panther und seine Füße wie Bärenfüße und sein Rachen wie eines Löwen Rachen ... “
Als er wieder aufblickte, bemerkte er, dass die Gräfin - die Hände hinter dem Rücken verschränkt - ihn anstarrte. „Du hast die Offenbarung auswendig gelernt?“
„Bereits im Alter von fünf Jahren konnte ich Teile davon frei aufsagen“, gestand Damian nicht ohne Stolz. „Mein Vater hat dafür gesorgt, jedoch ohne mir Näheres über den Grund zu erzählen. Und meine Mutter hat mir beim Abschied anvertraut, dass mich dieses Buch irgendwann zum Tor der Myrrhe führen würde. So hätten es mein Großvater und sein Freund, der Abt Boson, bestimmt. Ich solle nur immer fleißig lernen, hat sie gesagt, Prüfungen ablegen und
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