Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
versteckt. Komm, lass uns danach suchen!“
Aufmerksam umrundeten sie die Kapelle, stocherten mit einem Stecken hinter jeden Busch, durchsuchten selbst den kleinen Friedhof – nichts.
Doch als sie die Ringmauer mit dem hölzernen Wehrgang hinter sich gelassen hatten und zu jenem Mauerabschnitt kamen, der regelmäßige Scharten aufwies – der Hofmeister hatte sie am Nachmittag von dort auf die Gärten der Stadt und den Fluss Lez hinabsehen lassen -, vernahmen sie mit einem Mal verhaltenes Stöhnen. Verblüfft hielten sie inne, lauschten.
Olivier warf Damian einen vielsagenden Blick zu. „Das kommt von außerhalb. Aus den Gärten.“
„Der Kelchbube?“
„Wer sonst?“
„Meinst du, wir sollten ...“
"Los, eine Räuberleiter! Rache für Termes und Dérouca!“
Damian verschränkte die Hände ... Als Olivier oben angekommen war, zog er den Freund zu sich hinauf. Gemeinsam sprangen sie von der Mauer in die Tiefe.
Damian landete weich auf einem Haufen mit Erbskraut. Doch als er aufspringen wollte, hielt ihn eine Hand am Knöchel fest. Er warf sich herum: „He, bist du verrückt gewor ...“
Im selben Augenblick schlug Olivier zu. Blut spritzte aus der Nase eines fremden Mannes. Er kippte um, verlor seine Kappe und sein Bewusstsein.
Sie betrachteten ihn näher. Er trug keine Kutte, war aber tonsuriert und sein linkes Bein stand in einem ähnlichen Winkel ab, wie der verstümmelte Arm des Engels in der Kapelle.
„Weshalb hast du ihn so hart geschlagen?“, empörte sich Damian. „Er hätte doch gar nicht weglaufen können!"
„Woher sollte ich das wissen? Der diebische Hund hat sich an deinen Fuß geklammert. Außerdem kann er der Mörder der Dame Honoria sein. Schon vergessen? Los, sieh dich nach dem Steinernen Buch um. Es muss hier irgendwo herumliegen.“
Sie mussten nicht lange suchen. Der Mönch hatte es offenbar vor seinem Sprung über die Mauer geworfen, um es unten wieder aufzulesen.
Das Buch war schwer, die halbe Hand des Engels hing noch daran. Sie betrachteten die Inschrift, doch so sehr sie sich auch bemühten, entziffern konnten sie sie nicht.
„Plan zwei?“
„Plan zwei!“ Olivier sah sich aufmerksam um. Unter ihnen gurgelte und schäumte der Lez. „Im Schutz der Weiden!“, flüsterte er Damian ins Ohr.
Am Ufer angekommen, entdeckten sie einen Schelch, angebunden an einem krummen Baum.
„Ei, unser Kelchbube gedachte damit wohl geradewegs bis zum Bischofspalais zu rudern, wo der arme Fulco im Fieber darniederliegt. Schlau, schlau. Aber nicht schlau genug.“
Der Lez machte einen Heidenlärm. Sie setzten sich ans Wasser, an eine Stelle, von der aus man sie von oben nicht sehen konnte, und nahmen das Relikt aus Marmor näher in Augenschein. Das Buch allein war so dick wie drei Daumen. Die eingemeißelte Inschrift blieb unleserlich.
„Bin gespannt, ob Hagelsteins Vorschlag funktioniert.“ Damian zog das vorbereitete hauchdünne Pergament und einen kleinen Beutel aus seinem Wams. Vorsichtig rollte er das Blatt auf.
„Mich würde es ärgern, wenn der Narr Recht behält“, brummte Olivier. "Beeil dich!"
„Was du nur immer gegen ihn hast!“ Damian presste das Pergament auf den Stein und drückte es gewissenhaft in die Vertiefungen der Buchstaben. Olivier öffnete den Beutel. Dann tauchte Damian seinen Zeigefinger in das Rußgemisch und fuhr damit über das Pergament. Gewissenhaft rieb er das schwarze Zeug in jede einzelne Vertiefung.
„Vermutlich hatte der Engel seine Flügel an den Fersen ...“, sagte er unvermittelt, nachdem er mit der ersten Zeile fertig war. Er zog seine Beine an, denn das Wasser schwappte über seine Stiefel.
„An den Fersen? Wie kommst du denn darauf?“
„Weiß nicht. Villaine schrieb irgendwann ein neues Lied, in dem er Mutters Füße mit denen eines Engels verglich. Da habe ich gehört, wie sie gelacht und gesagt hat: „Wahre Engel werden mit Flügeln an den Fersen geboren.“
„Und du meinst jetzt ...“
„Warum nicht? Wie hätte sie sonst auf so etwas kommen können! Mutter hat den Steinernen Engel in und auswendig gekannt. Sie ist hier aufgewachsen. Warum sie nie mit mir in Montpellier war, verstehe ich allerdings nicht.“
"Ich schon. Du hättest als Kind alles ausgeplaudert. So, es reicht jetzt mit dem Ruß, du musst nicht immer übertreiben!"
Vorsichtig löste Damian das Pergament vom Stein, pustete die überschüssige Asche fort, und als sich die Wolke, die für eine Weile den Mond verdeckt hatte, verzog, versuchte er die
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