Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
sechzig Jahren aus Outremer mitgebracht hätte.
Nun zwingen mich die Krankheit und bestimmte Umstände, schrieb Wilhelm, die Truhe, die aus Zypressenholz ist, nebst Inhalt aus meiner Stadt Montpellier fortzuschaffen, damit sie nicht in fremde Hände fällt.
„Bestimmte Umstände? Kennst du den Anlass für den Schritt deines Großvaters?“, hatte Sancha Damian gefragt.
Wie immer, wenn es um seine Familie ging, war der Junge verlegen geworden. „Ich war damals noch nicht geboren. Aber vermutlich lag es an meinem Vater Bartomeu. Er hatte … er hatte“, stotterte er, „einen ... ungesunden Einfluss auf meine Großmutter.“
Sancha lachte leise, als sie daran dachte. Vorsichtig drehte sie sich auf die andere Seite, denn das wärmende Fell war verrutscht und das Stroh kratzte bei jeder Bewegung durch das fadenscheinige Leinen hindurch. Einen ungesunden Einfluss - das war gewiss die Untertreibung des Jahrhunderts, nach dem, was die Stiftsdame vor ihrem Tod von sich gegeben hatte: Bartomeu, das Schwein!
Die Füße aneinander reibend, kroch Sancha noch tiefer in den Berg Decken hinein. Sie durfte wirklich froh sein, wenn alles vorüber und sie bei Leonora in Toulouse war.
Eine ganze Weile lauschte sie auf Galas Atemzüge. Die Kleine zumindest übte einen gesunden Einfluss auf Bartomeus Jungen aus. Vielleicht konnte Gala ihr sogar helfen, Damian zu überzeugen …
Sancha gähnte. Sie war todmüde, aber hinter ihren Augen gab es einfach keine Ruhe. Eine aufregende Reise hatte der Schatz hinter sich. Ein Ritter aus Lyon, Freund und Kampfgefährte des Herrn von Montpellier, hatte ihn in Gezer, in einem alten Kornspeicher entdeckt, verborgen hinter einem langen Trog, unter allerlei Gerümpel. Vermutlich Diebesgut. In einem der fünf Getreidesäcke steckte die wundertätige Schwarze Madonna, die jetzt in Montpellier verehrt wurde, in den anderen der verschwenderische Schatz. Gemeinsam brachten sie die Säcke auf ihr Schiff. Doch vor Kypros erhob sich mit einem Mal ein Nebel vom Land und senkte sich aufs Meer. Das Schiff lief auf eine Sandbank auf. In der Nacht dann ein schwerer Sturm. Beim Versuch, den Segler wieder flottzumachen, ertrank der Lyoner, worauf der Schatz an den Herrn von Montpellier fiel, denn die beiden hatten sich vor der Abreise gegenseitig als Erben eingesetzt ...
Dass es sich bei dem Tor der Myrrhe um eines der drei Verstecke handelte, von denen die Geschichtsschreiber Prokopius von Caesarea und Gregor von Tours berichteten, konnte ausgeschlossen werden. Wilhelms Mutmaßung jedoch, es handle sich um einen der verlorengegangen Schätze Salomos, war nicht zu widerlegen: Die Stadt Gezer, im Tal des Ajalon, war ein Geschenk des Ägyptischen Pharaos an Salomo gewesen und die Schwarze Madonna ein Abbild der Königin von Saba. Denn hieß es nicht schon im Hohenlied: Ich bin schwarz, aber gar lieblich, ihr Töchter Jerusalems, wie die Hütten Kedars, wie die Teppiche Salomos? Dann das goldene Rad - der Davidstern, und natürlich die große Menge an Edelsteinen, die in der Sonnenglut der Berge des Ostens entstanden waren: Außergewöhnlich schöne Diamanten, Rubine, Smaragde, Saphire und Karfunkelsteine, denen wundersame Kräfte innewohnten. Zahlreich, groß und schön waren ihr auch die vielfarbigen Schmuckperlen vorgekommen, die goldenen Stirnreife, Ketten, Armringe und Ringe. Sonderbar, wenn man daran dachte, wer sie in grauer Zeit wohl getragen hatte ... „Vergesst die Myrrhenbäume nicht, Herrin!“, hatte Damian stolz eingeworfen, „auch sie hat mein Urgroßvater übers Meer gebracht. Die Myrrhenbäume des Salomo!“
„ ... lomo“, flüsterte Sancha, schon halb im Schlaf.
Als Gala sie sacht am Arm rüttelte, glaubte sie, gerade erst eingeschlafen zu sein.
„Herrin, es ist schon helllichter Tag! Die Sonne scheint und der Schnee auf den Feldern glitzert wie Silber.“
Sancha streckte die Beine aus dem Bett. Erstmals war es am Morgen wohlig warm in der Kammer, offenbar hatte der Knecht rechtzeitig den Kamin beschickt. Gala setzte den Krug mit warmem Wasser ab und begann, die Gräfin zu waschen.
„Braves Mädchen“, lobte Sancha. „Sind die anderen schon wach?“
„Ach, Herrin, die streiten bereits wieder! Der Herr von Hagelstein lässt nicht nach“, klagte sie. „Er will die beiden überreden, den gesamten Schatz auf Saumpferde zu packen und nach Toulouse zu bringen. Mehr als Hunderttausend Söldner könne sich Graf Raymond davon kaufen, behauptet er. Glaubt Ihr, das stimmt?“
Sancha
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