Sancha ... : Das Tor der Myrrhe : Historischer Roman (German Edition)
Vertrauen erzählt, dass Raymond und Miraval nächtelang über Gott sprachen - und natürlich über das Land und die Ehre, und dass sie sich dabei duzten.
Ob der Alte wirklich gut beraten war, sich ausgerechnet mit diesem Sänger zu verbrüdern? Nicht, dass Leonora über Gebühr darunter litt, aber Pater Sola, ihr Beichtvater, sah in Miraval einen Ketzer. Und um die Häretiker ging doch aller Streit in diesem Land! Wie gerne hätte sie mit Roç über die merkwürdige Freundschaft seines Vaters gesprochen, aber nachdem der Junge noch immer ihr Bettgemach mied, waren derart heikle Gespräche sinnlos.
Stolz hob Sancha das Kinn. Da hatte man sie in Zaragoza streng bewacht, um ihre Tugend zu schützen, und nun war sie mit siebenundzwanzig Jahren und ganze sechs Wochen nach ihrer Eheschließung noch immer Jungfrau. Wie sollte sie ihre Pflicht erfüllen und Toulouse einen Erben schenken, wenn Roç ... Ah, im Namen Gottes, er küsste sie ja noch nicht einmal auf den Mund! Sein abendliches Wehgeschrei, er sei zu jung und für den Vollzug der Ehe noch nicht gerüstet, ödete sie langsam an. Er war bald sechzehn Jahre alt und männlich genug, wie jeder sehen konnte. Obendrein war es ... nun, es war zumindest hier im Schloss kein Geheimnis, dass er unter die Decke einer Küchenmagd schlüpfte, während sie, seine rechtmäßige Gemahlin vor Begierde brannte. Es half nichts, jemand musste dafür sorgen, dass der Junge seine Pflicht tat, damit sie die ihre tun konnte!
Ob es stimmte, dass diese Magd blutjung und sehr hübsch war? Sancha betastete ihre Nase. Nun, ein Rosenschapel stand ihr eher nicht zu Gesicht … Wo der Junge nur blieb? Sie warf einen ungeduldigen Blick zur Tür und dann wieder zum großen Kamin hinüber. Das Holz knackte und zischte. Über was redeten die beiden nur unentwegt?
Endlich gab sie sich einen Ruck und gesellte sich - mit der hohen Cimarre in der Hand - zu Raymond und Pedro. Doch leider stellten diese sofort ihr Gespräch ein, hielten ihr aber dankbar die silbernen Becher entgegen - wie wenn sie der Mundschenk wäre.
Beim Niederstellen des Kruges vermeinte sie draußen die Welpen zu hören. Aber die Türwächter ließen nicht erkennen, dass jemand kam. Vielleicht lag der Troubadour ja längst im Bett? Mit einer schönen Frau? Im Schloss hieß es, er liebe die Damen allzu sehr ...
Sancha runzelte die Stirn, als Leonora wortlos das Brevier beiseite legte und eine Nadelarbeit aufnahm. Sie sah noch immer nicht hoch. Nur ihre Lippen bewegten sich stumm, während sie das Muster abzählte. Was war nur heute los mit ihrer Schwester?
Als Prinzessin von Aragón hat man Gott
und seinem Land zu dienen
und im übrigen den Mund zu halten!
Lag es daran? Richtete sich Leonora noch immer streng nach Mutters Anweisung? Aber wieso? Raymond war einer der mächtigsten Herrscher der Christenheit und Leonora seine rechtmäßige Gemahlin. Wo blieb denn ihr Stolz? Da war sie, Sancha, aus anderem Holz geschnitzt! Sie hatte schon früh gewusst, was einen Ritter ausmachte und was einen König.
Ehrerbietig beugte Miraval sein Knie, wobei ihm sein braunes, in der Mitte gescheiteltes Haar über die Wangen fiel. Der Troubadour war nicht allzu groß, aber von schlankem Wuchs. Dass sein Gesicht von den Jahren und wohl vielen Abenteuern gezeichnet war, überraschte nicht. Petronilla - ihre erste Dame - hatte ihr anvertraut, Miravals Vergangenheit sei so schillernd wie die Sirventes und Canzones, die er verfasst hätte. Das sagten alle. Was sollte man bloß davon halten?!
Sancha neigte kaum merklich den Kopf, als er sie begrüßte. Seine grünbraunen Augen – nein, seine grünbraunen klugen Augen, gefielen ihr.
„Nun berichtet mir von Eurem Unglück, Herr von Miraval“, forderte Pedro den Troubadour auf, worauf dieser mit warmer, wohltönender Stimme erzählte, wie ihn Simon von Montfort, der Anführer der Kreuzfahrer, um seine Burg gebracht und gefangengesetzt hatte.
Pedros Gesicht verfinsterte sich. „ Per la Verges Maria maire! “, zischte er, als der Sänger sein Unglück ausführlich genug geschildert hatte. „Rom geht zu weit! Als katholischer Herrscher lehne ich die Häresie gnadenlos ab und frage mich dennoch: werde ich der Nächste sein, den die Franzosen auf Befehl Roms überfallen?“ Er legte seine Hand auf des Sängers Schulter. „Ich verspreche Euch, Herr von Miraval, ich will alles daran setzen, dass Ihr zu Eurem Recht kommt.“
Sancha nickte zufrieden. Auf Pedro war Verlass.
Raymond von Toulouse
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